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Dauerhaft dürfte der Rückgang der Inflation nicht sein - warum weitere Zinserhöhungen schwierig und riskant sind.
Zurzeit sinken die Inflationsraten rund um den Globus. Zwei klare Gründe hat der erfreuliche Rückgang: sinkende Weltmarktpreise für Energie und den statistischen Basiseffekt. Die beiden Faktoren haben indes mit den Ursachen der Geldentwertung nichts zu tun und können nur für kurze Zeit Entlastung bringen. Das wissen auch die Notenbanken; sie erwarten eine beschwerliche Rückkehr zur Preisstabilität. Die Leitzinserhöhung der EZB um 0,25 Prozentpunkte war Mitte Juni nur ein Schritt auf diesem langen Weg. Weitere Zinserhöhungen wären riskant. Die EZB verschweigt zwei sehr konkrete Gefahren konsequent oder übersieht sie wirklich.
Die Zahlen sind auf den ersten Blick gut: In der Eurozone sank die Inflationsrate von April auf Mai von 7,0 auf 6,1, in den USA von 4,9 auf 4,0 Prozent und in anderen Ländern verhält es sich ähnlich. Bei genauerer Betrachtung der Daten wird klar, warum fast kein Experte mit einem raschen weiteren Rückgang der Geldentwertung rechnet - denn der aktuelle Rückgang ist die Folge sinkender Weltmarktpreise für Energie. Diese erreichten im Sommer 2022 ein Maximum, von dem sie seitdem herunterkommen. Erdöl kostete damals bis zu 120 US-Dollar pro Barrel, jetzt noch etwas unter 70. Der Kohlepreis sank sogar von fast 400 auf unter 120 US-Dollar pro Tonne. Die Höchststände lagen vor ziemlich genau einem Jahr, sodass der Rückgang jetzt besonders groß erscheint.
Basiseffekt und gesunkene Energiepreise
Aber der Basiseffekt geht vorüber, kann sich in zwölf Monaten sogar umkehren und die Weltmarktpreise für Energie ohnehin wieder steigen. Die Notenbanken wissen das und vermeiden falschen Optimismus. Sie haben besonders die Kerninflationsrate ohne Energie- und Lebensmittelpreise im Blick. Zwar ist auch sie zuletzt minimal gesunken, aber wiederum vor allem wegen des Basiseffekts. "Es gibt keine eindeutigen Belege dafür, dass die Kerninflation ihren Höhepunkt erreicht hat", erklärte EZB-Chefin Christine Lagarde Anfang Juni und fügte hinzu, dass "wir noch einen weiten Weg vor uns haben, um die Zinsen auf ein ausreichend restriktives Niveau zu bringen".
Die kleine Zinserhöhung Mitte Juni um 0,25 Prozentpunkte war sicher als Schritt auf diesem Weg gedacht. Davor hatte die US-Notenbank auf einen Zinsschritt verzichtet, was nachvollziehbar ist: Die Federal Reserve hat früher als die EZB mit Zinserhöhungen begonnen und ist damit schon weiter vorangekommen; außerdem ist die Inflation in den USA mit 4,0 Prozent deutlich niedriger. Bei durchschnittlichen US-Anleiherenditen um die 3,4 Prozent hat sich der Dollar-Realzins auf -0,6 Prozent erholt, während diese "Rate der sicheren Enteignung" im Euro bei einer Umlaufrendite von zuletzt 2,4 Prozent immer noch desaströse -3,7 Prozent beträgt. Der einseitige Schritt der EZB verkleinert die Zinsdifferenz zum US-Dollar, was den Euro stützt. Das wiederum dämpft die Importpreise und ist gemessen an der Kaufkraft der beiden Währungen ohnehin angemessen. Hier enden aber schon die guten Nachrichten.
Zinserhöhungen stets mit Nachteilen verbunden
Dass Zinserhöhungen immer auch Nachteile mit sich bringen, ist bekannt. In den Medien war darüber zuletzt derart viel zu lesen, dass hier ein paar Stichworte genügen:
- Höhere Zinsen dämpfen die Nachfrage, was für die Konjunktur problematisch ist. Sowohl in Deutschland als auch in der Eurozone ist die Wirtschaft zuletzt in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen geschrumpft. Damit stecken wir in einer Rezession - und da sind Zinserhöhungen eigentlich tabu.
- Höhere Zinsen belasten ausgerechnet diejenige Branche am meisten, die jetzt bereits die größten Probleme hat: die Bauwirtschaft. Ehrgeizige Programme zur CO²-Vermeidung im Wohnungsbereich nützen wenig, wenn die Eigentümer neue Heizungen und noch mehr Wärmedämmung schlicht nicht mehr finanzieren können.
- Höhere Zinsen bringen die Staatshaushalte unter Druck. In diesem Jahr muss allein der Bund 40 Milliarden für Zinsen aufwenden, vor zwei Jahren waren es erst vier Milliarden Euro. So manchem Bundestagsabgeordneten dämmert erst jetzt, wie teuer die kreditfinanzierten Sonderprogramme der letzten Jahre für verschiedenste Zwecke - Griechenland, Corona, Bundeswehr - wirklich waren. Da andere Euroländer zum Teil deutlich höher verschuldet sind, sind hier die Lasten für die Haushalte noch größer.
Zinsausgaben des Bundes in zwei Jahren verzehnfacht
Diese wenig ermutigende Aufzählung lässt zwei besonders heikle Risiken von Zinserhöhungen in der geldpolitischen Lage noch völlig außer Acht. Die EZB schweigt dazu eisern, und man fragt sich, ob dies eher den Zweck hat, die Märkte zu beruhigen, oder ob zumindest im zweiten Punkt ein "ehrlicher Irrtum" der Grund für die große Stille ist.
Das erste dieser beiden Risiken sind die Folgen höherer Zinsen für die Bilanzen der Banken. Sie halten große Anleihebestände als Teil ihres Eigenkapitals. Die Beträge sind heute deutlich höher als vor einigen Jahren; der Gesetzgeber und die Bankenaufsicht wollten das so. Eine Lehre aus der Finanzkrise von 2008 war nämlich, dass die Banken für risikobehaftete Geschäfte mehr Eigenkapital vorhalten sollten.
Das war naheliegend - nur wurde dabei festgelegt, dass Staatsanleihen selbst als risikolos gelten. Eine zehnjährige Anleihe mit einem Coupon von 0 oder sogar -0,5 Prozent rauscht aber in die Tiefe, wenn am Markt die Zinsen steigen. Solange Banken solche Anleihen bis zur Endfälligkeit halten können, ist das kein großes Problem. Aber wehe, es treten Probleme auf und die Banken müssen früher verkaufen: Dann wird aus dem Buchverlust ein ganz realer Verlust und das Institut kann zahlungsunfähig werden.
Staatsanleihen gelten als risikolos - sind es aber nicht
Genau das geschah im März mit drei Banken in den USA und einer in der Schweiz, der traditionsreichen Credit Suisse (CS). Die Kosten waren in beiden Fällen weitaus größer, als es der Öffentlichkeit bewusst geworden ist. Allein im Falle der Silicon Valley Bank musste die Fed Einlagen von 175 Milliarden US-Dollar garantieren und in den Tagen danach den US-Banken noch Liquiditätshilfen von 323 Milliarden US-Dollar zuschießen, um die Finanzmärkte einigermaßen zu beruhigen. Im Falle der Credit Suisse…
Autor: Konrad Badenheuer
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