BERLIN (dpa-AFX) - Traktoren parkten dicht an dicht, auf Transparenten stand: "Es reicht!" oder: "Mit Essen spielt man nicht." Mit viel Wut im Bauch haben mehrere Tausend Landwirte am Montag in Berlin gegen die Koalition und das Aus von Diesel-Vergünstigungen für die Branche protestiert. "Ziehen Sie die Steuererhöhungsvorschläge zurück, dann ziehen wir uns zurück", rief Bauernpräsident Joachim Rukwied bei einer Kundgebung am Brandenburger Tor. Als Redner kam auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf die Bühne und bekam Pfiffe und geballten Unmut zu spüren. Spitzenvertreter der Koalition sandten Signale, Bauern mit Entlastungen an anderer Stelle zu helfen.
Rukwied rief, es müsse sich etwas ändern: "Die Politik muss raus aus der Berliner Blase, hin zu Bürgerinnen und Bürgern, hin zu Bäuerinnen und Bauern." Die Branche sei gesprächsbereit, der von der Regierung angebotene Kompromiss beim Agrardiesel sei aber nicht fair, sondern faul. Ohne stabile ländliche Räume habe das Land keine Zukunft. "Dafür sind wir bereit, auch auf die Straße zu gehen." Rukwied mahnte, eine sichere Versorgung mit heimischen Lebensmitteln müsse gewährleistet sein. Das sei auch Grundlage einer stabilen Demokratie.
Zu der Kundgebung kamen nach Polizeiangaben 8500 Menschen und rund 6000 Fahrzeuge. Der Bauernverband sprach von rund 30 000 Demonstranten mit fast 10 000 Fahrzeugen.
Zankapfel Diesel
Die Kundgebung war Höhepunkt einer Aktionswoche, mit der Bauern in den vergangenen Tagen bundesweit gegen die schon abgeschwächten Pläne der Bundesregierung mobil gemacht hatten. Für Einsparungen im Etat 2024 soll die seit mehr als 70 Jahren bestehende Agrardiesel-Begünstigung enden - statt auf einen Schlag wie ursprünglich geplant nun schrittweise über drei Jahre. Eine angepeilte Streichung der Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge hat die Regierung ganz fallen gelassen. Die Branchenverbände fordern eine völlige Rücknahme der Mehrbelastungen.
Minister mit schwerem Stand
Wie Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) bei einer Demo Mitte Dezember stellte sich nun Lindner den Landwirten. Als er ans Rednerpult trat, gab es Pfiffe und Protestrufe. Rukwied schritt ein und mahnte Respekt für den Minister an. Auch während Lindners Rede gab es "Hau ab!"-Rufe. Der FDP-Chef würdigte die Arbeit der Bauern und erwähnte, wie hart für ihn das Ausmisten eines Pferdestalls sei. "Es muss enden, dass Juristen und Politologen Ihnen erklären, wie Sie die Böden bewirtschaften", rief der Minister gegen den Protestlärm an.
Vorerst kein Einlenken beim Diesel
In der Sache rechtfertigte Lindner die schon abgeschwächten Pläne. Der Protest sei bereits erfolgreich gewesen, die Regierung habe die Argumente gehört. "Es soll und es darf kein Sonderopfer der Landwirtschaft geben, sondern nur einen fairen Beitrag." Nach einem Gespräch, zu dem die Fraktionsspitzen der drei Koalitionsparteien Bauernvertreter am Rande der Demo eingeladen hatten, berichteten die Verbände, es gebe vorerst keine Lösung in der strittigen Kernfrage des Agrardiesels.
Ampel geht auf Bauern zu
Ampel-Vertreter mühten sich um Dialog und Zeichen des Entgegenkommens - an anderer Stelle. "Wenn der Agrardiesel ausläuft, dann müssen Zug um Zug auch die Belastungen für die Betriebe auslaufen", sagte Lindner. Er nannte Bürokratie, Umwelt- und Tierhaltungsauflagen. Zu prüfen seien mögliche steuerliche Erleichterungen, wenn Gewinne von Jahr zu Jahr stark schwanken. Die Fraktionschefs Rolf Mützenich (SPD), Britta Haßelmann (Grüne) und Christian Dürr (FDP) kündigten an, im Bundestag am Donnerstag einen Fahrplan für konkrete Verbesserungen vorzulegen.
Mögliche Zugeständnisse
Im Gespräch ist unter anderem, eine dauerhafte Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung zu höheren Standards anzugehen, über die seit Jahren nur diskutiert wird. Nach Experten-Empfehlungen könnte eine Tierwohlabgabe von 40 Cent pro Kilogramm Fleisch kommen. Özdemir wirbt für ein solches Signal gerade jetzt. Die FDP wollte das bisher nicht. "Wir sind offen für diese Idee", sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nun am Montag nach einer Sitzung des Parteipräsidiums.
Die Sorgen der Bauern
Vor dem Brandenburger Tor stand auch Mathias Friedrich, der in Baden einen Milchvieh- und Legehennenbetrieb mit 130 Kühen und Tausenden Hühnern hat. Der Agrardiesel treffe ihn nicht so sehr wie etwa die Kollegen aus dem Osten, sagte er. Ihn störe aber vor allem die Art und Weise, wie die Regierung die Maßnahmen beschlossen habe. "Es gibt immer mehr Auflagen, immer mehr Bürokratie." Paul, 23, reiste mit Freundin Luisa, 21, und weiteren Freunden aus Lutherstadt Wittenberg an. Sie kritisierten ständig wechselnde Auflagen vor allem für die Tierhaltung. "Es gibt einfach keine Planbarkeit", sagte Paul. Sein Vater hat einen großen, landwirtschaftlichen Betrieb in der Region.
Traktoren und Transparente
Traktoren, Lastwagen und andere Fahrzeuge standen in mehreren Reihen auf der Straße des 17. Juni am Brandenburger Tor. Schon in der Nacht waren Traktoren mit Hupkonzerten durch Berlin gerollt. Auf Fahrzeugen waren Slogans zu lesen wie "Tank leer - aus die Maus", "Ohne Landwirte keine Zukunft" und "Landwirtschaft ist bunt". Auf anderen war von Regierungsversagen die Rede, von Unrecht, Vetternwirtschaft und Kriegstreiberei. Zu sehen war ein Modell eines Galgens mit einer Ampel. Auf einigen Demonstranten-Westen stand "Wir sind das Volk".
Friedliche Proteste
Ruwkied betonte mit Blick auf die Proteste, es sei nicht gelungen, das Anliegen in die rechte Ecke zu drängen. Die Bäuerinnen und Bauern seien aufrechte Demokraten und stünden zum Grundgesetz. Lindner nannte die Bauern-Proteste legitim und friedlich. Er habe Furcht vor "schrecklichen Bildern" gehabt, das sei zum Glück nicht eingetreten. Rund um die Demonstration waren 1300 Polizisten im Einsatz. Laut Polizei war im Internet auch in geringem Maße von staatsfeindlicher und rechtspopulistischer Seite zur Teilnahme aufgerufen worden.
Die Aussichten
Der Bauernverband will vorerst nicht zu weiteren Protesten aufrufen. "Wir setzen jetzt in den nächsten Tagen auf den Austausch und hoffen, dass es eine Lösung gibt, die auch die Landwirtschaft mittragen kann", sagte Rukwied nach der Demo. Die Stimmung bleibt erst einmal angespannt. An diesem Freitag beginnt die Grüne Woche, der traditionelle große Jahresauftakt der Agrarbranche in Berlin./sam/maa/nif/rab/DP/jha