Berlin (ots) -
Meldungen über Rettungsdienst am Limit und fast täglichem Ausnahmezustand in Berlin, gehören unterdessen zur normalen Tagespresse. Rettungswagen, die quer durch die Stadt fahren, Anrufer, die lange auf Hilfe warten. Aber was bedeutet das alles für die Menschen, die in der Leitstelle arbeiten. Sie betreuen Einsätze vom ersten Moment an, gehen an den Notruf, helfen und trösten...und brennen aus.
Feuerwehr und Rettungsdienst funktioniert nicht ohne Leitstelle
Wenn auch alle Gewerke der professionellen Lebensrettung unter der aktuellen Lage leiden, ist es an der Zeit, sich Leitstellenarbeit mal anders anzuschauen. Alles, wirklich alles, geht über diesen einen Raum, über alle Kolleginnen und Kolleginnen, die dort Dienst versehen.
Dramatische Einsätze, die ihren Schatten über die komplette Belegschaft legen, aber auch unglaublich viele Einzelfälle, die wie kleine Nadelstiche wirken. Arbeiten an der Belastungsgrenze und darüber hinaus. Das System ist ein Patient. Dem System geht es schlecht.
Kolleginnen und Kollegen der Leitstellen kommen zum Dienst und übernehmen die Plackerei in dem Wissen, diesen Patienten, zwar mit Rezept, aber ohne entsprechende Mittel zur Heilung, vor sich zu haben. Wir können froh sein, wenn Kolleginnen und Kollegen überhaupt noch darüber reden. Bei nicht wenigen ist der emotionale "Point auf no Return" schon erreicht.
Aktuelle Sparzwänge, sogenannte "pauschale Minderausgaben", schweben drohend über der Struktur einer Berliner Feuerwehr. Neben ausreichend Personal braucht es systemische Verbesserungen. Lösungen, die Arbeitsabläufe vereinfachen und beschleunigen. Drohender Stillstand durch fehlende Investitionsmittel rauben den letzten Funken Hoffnung auf Verbesserung und Entlastung. Innensenatorin Iris Spranger hat sich dabei klar hinter bzw. vor die Feuerwehr gestellt.
Das Berlin-Ticket wird mit hunderten Millionen Euro subventioniert. Das Deutschlandticket bietet bereits eine günstige "Flatrate" an. Der Daseinsvorsorge fehlen Mittel und doch hält man an diesem Vorhaben fest.
"Micha"
Seit gut 20 Jahren ist Michael bei der Berliner Feuerwehr. Die Angabe ist ungenau. Michael möchte nicht erkannt werden. "Ich arbeite gerne in der Leitstelle", sagt er, bevor er sich auf den Weg nach Charlottenburg zum Nachtdienst macht. Gestern hatte er Tagesdienst. "Der Tagesdienst hat den Vorteil, dass man wenigstens nicht direkt ins Haifischbecken springt". Zum Dienstbeginn am Morgen ist das "System Feuerwehr" noch nicht an seinen Grenzen. Die Notrufe sind beherrschbar. Doch heute geht Michael zum Nachtdienst.
Die Kollegen treffen sich um 18:15 zur Vorbesprechung. Gegen 18:30 ist fliegender Wechsel. "Auch wenn du eigentlich nach Wochen und Monaten schon ahnst, was kommt, bekommst du spätestens dann Bauchschmerzen, wenn du hineingehst", beschreibt Michael seine Gedanken, wenn er auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz ist.
Es wird angezeigt, wie es gerade um die Anzahl verfügbarer Rettungswagen steht. Wenn es mehr als eine Handvoll gibt, ist man fast schon positiv überrascht. An diesem Tag ist bereits um 09:00 Uhr der Ausnahmezustand Rettungsdienst ausgerufen worden. "Zentrale Dispo" nennt sich die Funktion, für die er heute Abend eingeteilt ist. "Diese Funktion gibt es eigentlich fast ausschließlich im Ausnahmezustand, also immer", scherzt Michael.
Meistens zu zweit besetzt man diese Funktion und bekommt jeden einzelnen Einsatz mit der schriftlichen Notrufmeldung und dem Stichwort zugespielt. Dann ist es an ihm, einen Rettungswagen zu finden, wenn es zum Stichwort "NOTF" oder ähnlichem geht. Viel zu oft sind RTW sehr weit weg, zu oft gibt es keinen. Er spricht davon, wie sein Puls anfängt zu steigen, wenn er Einsätze in der Hoffnung prüft, Rettungsmittel von anderen Einsätzen abziehen zu können. Er spricht sogar von Beklemmungen, wenn er auf der Suche nach freien Rettungswagen ist. "Ich habe 3 Rettungswagen für 6 Einsätze. Ich muss jetzt anfangen zu priorisieren." 25 Minuten, bis der Rettungswagen am Einsatzort ist, das wird mittlerweile nur noch zur Kenntnis genommen. Man kann es nicht ändern.
"Ich bete inständig, dass ich nicht was überlese oder übersehe".
Um 19:30 hat er eine halbe Stunde Pause, bevor es vorerst für 6 Stunden nonstop weitergeht. In der Pause ruft er mich an. Wir sprechen öfter. Maßnahmen, wie die RDAbweichV haben ein wenig Entlastung gebracht. Es gab mehr Rettungswagen und auch für die Leute auf der Wache war das spürbar. Diese Erfolge werden aber zusehends aufgefressen. "Wir hatten hier in der Leitstelle schon den Notarzt, weil jemand Brustschmerzen hatte. Schichtdienst, dieser Dauerstrom, dein komplettes Arbeitsumfeld mit blank gezogenen Nerven und dann erzählt dir einer was von Sorge um Qualitätsverlust."
Vorgesetzte sind selbst ratlos und Opfer des Hamsterrads. Was sollen sie auch tun, außer das, was sie machen. Mängel melden, Mittel beantragen, Mitarbeiter versuchen zu motivieren. Wenn dann nichts kommt, war es das. Dann passiert nichts, aber man hat es wenigstens dokumentiert. Micha hat sich verändert. Wer ihn kennt, bemerkt dies. Er denkt manchmal darüber nach, ob er die Dienststelle wechseln soll. "Egal in welcher Funktion du arbeitest. Volle Pulle auf Verschleiß."
Manuel Barth
Pressekontakt:
Manuel Barth
Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft
Pressesprecher Bund
Tel.: 030 86 33 55 67
Mobil.: 0173 203 5 201
Mail: M.Barth@dfeug.de
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Originalmeldung: https://www.presseportal.de/pm/173214/5706595
Meldungen über Rettungsdienst am Limit und fast täglichem Ausnahmezustand in Berlin, gehören unterdessen zur normalen Tagespresse. Rettungswagen, die quer durch die Stadt fahren, Anrufer, die lange auf Hilfe warten. Aber was bedeutet das alles für die Menschen, die in der Leitstelle arbeiten. Sie betreuen Einsätze vom ersten Moment an, gehen an den Notruf, helfen und trösten...und brennen aus.
Feuerwehr und Rettungsdienst funktioniert nicht ohne Leitstelle
Wenn auch alle Gewerke der professionellen Lebensrettung unter der aktuellen Lage leiden, ist es an der Zeit, sich Leitstellenarbeit mal anders anzuschauen. Alles, wirklich alles, geht über diesen einen Raum, über alle Kolleginnen und Kolleginnen, die dort Dienst versehen.
Dramatische Einsätze, die ihren Schatten über die komplette Belegschaft legen, aber auch unglaublich viele Einzelfälle, die wie kleine Nadelstiche wirken. Arbeiten an der Belastungsgrenze und darüber hinaus. Das System ist ein Patient. Dem System geht es schlecht.
Kolleginnen und Kollegen der Leitstellen kommen zum Dienst und übernehmen die Plackerei in dem Wissen, diesen Patienten, zwar mit Rezept, aber ohne entsprechende Mittel zur Heilung, vor sich zu haben. Wir können froh sein, wenn Kolleginnen und Kollegen überhaupt noch darüber reden. Bei nicht wenigen ist der emotionale "Point auf no Return" schon erreicht.
Aktuelle Sparzwänge, sogenannte "pauschale Minderausgaben", schweben drohend über der Struktur einer Berliner Feuerwehr. Neben ausreichend Personal braucht es systemische Verbesserungen. Lösungen, die Arbeitsabläufe vereinfachen und beschleunigen. Drohender Stillstand durch fehlende Investitionsmittel rauben den letzten Funken Hoffnung auf Verbesserung und Entlastung. Innensenatorin Iris Spranger hat sich dabei klar hinter bzw. vor die Feuerwehr gestellt.
Das Berlin-Ticket wird mit hunderten Millionen Euro subventioniert. Das Deutschlandticket bietet bereits eine günstige "Flatrate" an. Der Daseinsvorsorge fehlen Mittel und doch hält man an diesem Vorhaben fest.
"Micha"
Seit gut 20 Jahren ist Michael bei der Berliner Feuerwehr. Die Angabe ist ungenau. Michael möchte nicht erkannt werden. "Ich arbeite gerne in der Leitstelle", sagt er, bevor er sich auf den Weg nach Charlottenburg zum Nachtdienst macht. Gestern hatte er Tagesdienst. "Der Tagesdienst hat den Vorteil, dass man wenigstens nicht direkt ins Haifischbecken springt". Zum Dienstbeginn am Morgen ist das "System Feuerwehr" noch nicht an seinen Grenzen. Die Notrufe sind beherrschbar. Doch heute geht Michael zum Nachtdienst.
Die Kollegen treffen sich um 18:15 zur Vorbesprechung. Gegen 18:30 ist fliegender Wechsel. "Auch wenn du eigentlich nach Wochen und Monaten schon ahnst, was kommt, bekommst du spätestens dann Bauchschmerzen, wenn du hineingehst", beschreibt Michael seine Gedanken, wenn er auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz ist.
Es wird angezeigt, wie es gerade um die Anzahl verfügbarer Rettungswagen steht. Wenn es mehr als eine Handvoll gibt, ist man fast schon positiv überrascht. An diesem Tag ist bereits um 09:00 Uhr der Ausnahmezustand Rettungsdienst ausgerufen worden. "Zentrale Dispo" nennt sich die Funktion, für die er heute Abend eingeteilt ist. "Diese Funktion gibt es eigentlich fast ausschließlich im Ausnahmezustand, also immer", scherzt Michael.
Meistens zu zweit besetzt man diese Funktion und bekommt jeden einzelnen Einsatz mit der schriftlichen Notrufmeldung und dem Stichwort zugespielt. Dann ist es an ihm, einen Rettungswagen zu finden, wenn es zum Stichwort "NOTF" oder ähnlichem geht. Viel zu oft sind RTW sehr weit weg, zu oft gibt es keinen. Er spricht davon, wie sein Puls anfängt zu steigen, wenn er Einsätze in der Hoffnung prüft, Rettungsmittel von anderen Einsätzen abziehen zu können. Er spricht sogar von Beklemmungen, wenn er auf der Suche nach freien Rettungswagen ist. "Ich habe 3 Rettungswagen für 6 Einsätze. Ich muss jetzt anfangen zu priorisieren." 25 Minuten, bis der Rettungswagen am Einsatzort ist, das wird mittlerweile nur noch zur Kenntnis genommen. Man kann es nicht ändern.
"Ich bete inständig, dass ich nicht was überlese oder übersehe".
Um 19:30 hat er eine halbe Stunde Pause, bevor es vorerst für 6 Stunden nonstop weitergeht. In der Pause ruft er mich an. Wir sprechen öfter. Maßnahmen, wie die RDAbweichV haben ein wenig Entlastung gebracht. Es gab mehr Rettungswagen und auch für die Leute auf der Wache war das spürbar. Diese Erfolge werden aber zusehends aufgefressen. "Wir hatten hier in der Leitstelle schon den Notarzt, weil jemand Brustschmerzen hatte. Schichtdienst, dieser Dauerstrom, dein komplettes Arbeitsumfeld mit blank gezogenen Nerven und dann erzählt dir einer was von Sorge um Qualitätsverlust."
Vorgesetzte sind selbst ratlos und Opfer des Hamsterrads. Was sollen sie auch tun, außer das, was sie machen. Mängel melden, Mittel beantragen, Mitarbeiter versuchen zu motivieren. Wenn dann nichts kommt, war es das. Dann passiert nichts, aber man hat es wenigstens dokumentiert. Micha hat sich verändert. Wer ihn kennt, bemerkt dies. Er denkt manchmal darüber nach, ob er die Dienststelle wechseln soll. "Egal in welcher Funktion du arbeitest. Volle Pulle auf Verschleiß."
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