14.02.2024 -
WESENTLICHE PUNKTE:
- Die europäische Konjunktur stagniert seit fast zwei Jahren.
- Die Wachstumsaussichten für 2024 sind trübe, vor allem in Deutschland und Frankreich.
- Das deutsch-französische Paar befindet sich politisch wie wirtschaftlich in einer Krise.
- Die fallenden Energiepreise und eine mögliche Zinssenkung durch die EZB dürften jedoch für eine Erholung sorgen.
Ist die Lage in einem europäischen Land besonders schlecht, ist oft von "kranken Mann Europas" die Rede, der dann nach einer Weile von einem "neuen kranken Mann Europas" abgelöst wird. Jedes Land hat diesen unrühmlichen Titel irgendwann einmal getragen. In den 1960er und 1970er Jahren wurde er häufig auf das Vereinigte Königreich angewendet. In den 1990er Jahren ging er dann auf Deutschland über, das unter den Kosten der Wiedervereinigung litt. Zwischen 2010 und 2015 waren dann die Peripherieländer an der Reihe, die wegen Schuldenkrisen in den Schlagzeilen standen. Etwa zur gleichen Zeit erfanden deutsche Journalisten mit Krankreich einen neuen Spitznamen für Frankreich.
Und wer ist 2024 der kranke Mann? Man ist versucht, darauf mit "ganz Europa" zu antworten, da die Wirtschaftsleistung des Kontinents in jüngster Zeit äußerst mittelmäßig war. Die allgemeine Verschlechterung der gesellschaftlichen Stimmung ist ein deutliches Zeichen dafür. Nach Ende des Corona-Lockdowns Mitte 2020 hatte zunächst eine starke Erholung eingesetzt, die Anlass zur Hoffnung auf eine nachhaltige Konjunkturbelebung gab. Leider wurde diese Entwicklung durch den Krieg in der Ukraine und die Energiekrise sowie die starke geldpolitische Straffung jäh unterbrochen. Darüber hinaus haben diese Ereignisse tiefsitzende Schwächen offengelegt, weshalb nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass die Wirtschaft nach dem Ende dieser Schocks (Ende der Zinserhöhungen, Rückfall der Energiepreise) schnell wieder in Schwung kommt.
Die folgenden Zahlen helfen dabei, die Dinge einzuordnen: Seit Mitte 2022 ist das reale BIP der Eurozone nicht mehr gestiegen, wir blicken also auf sechs Quartale Stagnation zurück. Unter normalen Bedingungen hätte die Wirtschaftsaktivität in diesem Zeitraum um 2,5 % zugelegt. Zum Vergleich: In den USA betrug der Anstieg des realen BIP 3,8 %. Kommen wir nun zum Ausblick. Die jüngsten Berichte von IWF und OECD prognostizieren für 2024 ein Wachstum in Europa von etwas mehr als 0,5 % gegenüber 2 % in den USA. In den letzten Jahren haben sich die südeuropäischen Länder anders als gewohnt viel dynamischer entwickelt als das Kerngebiet. Deutschland ist das Schlusslicht (Grafik). Und Frankreich schneidet nicht viel besser ab. Anstatt von einem kranken Mann sollte man also von einem "kranken Paar" sprechen.
Die Ursachen für diese Malaise variieren je nach Land. Ein Faktor, der in allen Ländern eine Rolle spielt, ist der Inflationsschock. Dieser hat die Kaufkraft der Konsumenten geschmälert und die Binnennachfrage gedämpft. Von der geldpolitischen Straffung waren ebenfalls mehrere Länder betroffen, wobei jedoch deren Auswirkungen unterschiedlich stark ausfielen, je nach der Wichtigkeit des Bausektors für die betreffende Volkswirtschaft. Die Staatsschuldenkrise hatte die Peripherieländer dazu gezwungen, die Bilanzen ihrer Banken zu bereinigen. Daher kam es in der Zeit der extrem niedrigen Zinssätze zwischen 2015 und 2021 nicht zu einem Kreditboom. Nach Schätzungen der französischen Zentralbank lag 2021 das jährliche Volumen von Wohnungsbaukrediten in Italien und Spanien bei rund 60 Milliarden Euro, in Frankreich und Deutschland jedoch vier Mal so hoch. Als die Zeit der billigen Kredite vorbei war, traf dies die Länder mit boomendem Bausektor viel härter.
Betrachten wir jetzt die länderspezifischen Faktoren. Fast zwei Jahrzehnte lang ließ sich die deutsche Wirtschaft als industrielle Großmacht feiern, die die Globalisierung (Chinas Aufstieg) und die Währungsintegration (wettbewerbsfähiger Wechselkurs) zu nutzen verstand, um riesige Außenhandelsüberschüsse und chronische Haushaltsüberschüsse zu erzielen. Dieses "Modell" ist an seine Grenzen gestoßen. Die Ausgangslage hat sich verändert. China ist nicht mehr nur Exportmarkt, sondern ein starker Wettbewerber. Der Industriesektor sieht sich steigenden Lohnkosten und einer veränderten Energiesituation gegenüber. In den energieintensivsten Industriezweigen (Chemie, Metallurgie) ist die Produktion seit dem Krieg in der Ukraine um fast ein Viertel gesunken. Das Ökosystem des deutschen Automobilsektors, dessen Exzellenz weltweit anerkannt war, wird durch den Übergang zu Elektroautos in seiner Gesamtheit betroffen. Der Staatshaushalt ist seit 2020 defizitär. Das heilige Prinzip der Schuldenbremse wird mittlerweile von einigen sogar offen für seine übermäßige Rigidität kritisiert.
Die Beschreibung des französischen "Modells" ist schwieriger, falls dieses Modell überhaupt existiert, aber eine seiner Schwächen sind zweifellos die Höhe und die Ineffizienz der Staatsausgaben. Dies war bereits vor der Pandemie der Fall. Seitdem hat sich die Lage noch verschlechtert. Die Konjunkturprogramme zur Minderung der Auswirkungen der Corona-Krise und der darauffolgenden Energiekrise haben bei den Bürgern die Vorstellung verankert, dass sich jedes Problem durch die Erhöhung der laufenden Staatsausgaben lösen lässt. Staatliche Investitionen, die Wachstum fördern könnten, sind dabei in den Hintergrund getreten. Seit 2019 sind diese Ausgaben in Frankreich um 23 %, in Deutschland um 29 % und in Italien und Spanien um mehr als 40 % gestiegen.
Es lässt sich nicht immer einfach zwischen zyklischen Problemen und strukturellen Schwächen (Demografie, Produktivität) unterscheiden. In der gegenwärtigen Situation kommen sich sicherlich beide Faktoren zusammen. Die mittlerweile stark gesunkene Inflation, die Normalisierung der Energiepreise und die in einigen Monaten wahrscheinlich folgende Lockerung der Geldpolitik durch die EZB dürften das "kranke Paar" in Europa wieder mit etwas Sauerstoff versorgen.