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Chris Iggo (AXA IM): Anlagechancen im rezessionsgeplagten Großbritannien - USA stürmen weiter voran

Finanznachrichten News

20.02.2024 -

Ich habe nur in zwei Ländern gelebt und gearbeitet - in Großbritannien (Home) und in den USA (Away). Zurzeit könnte ihr Schicksal unterschiedlicher nicht sein: Die US-Wirtschaft ist so stark wie von kaum jemandem für möglich gehalten, und Großbritannien befindet sich in der Rezession. Die technologische Revolution treibt den amerikanischen Aktienmarkt zu immer neuen Rekorden, während britische Titel vielleicht in einer Value-Falle stecken. In beiden Ländern stehen in den nächsten Monaten wichtige Wahlen an, mit naturgemäß unsicherem Ausgang. Ein Wechsel in den USA könnte dem US-Markt schaden, ein Wechsel in Großbritannien dem britischen Markt nützen.

Platt wie ein Pfannkuchen - die britische Wirtschaft: Bis zum 4. Quartal 2023 ist die britische Wirtschaft acht Quartale in Folge kaum gewachsen. Das passt gut zum Fastnachtsdienstag, wenn in vielen britischen Familien Pfannkuchen auf den Tisch kommen. Außer im Coronajahr 2020 und während der internationalen Finanzkrise 2008/2009 war die britische Wirtschaft lange nicht mehr so schwach wie heute. Von 1995 bis Ende 2007 ist das BIP im Quartalsdurchschnitt um 0,7%, von 2010 bis Ende 2019 um 0,5% gestiegen. Diese Woche ließ das nationale Statistikamt wissen, dass das BIP im 4. Quartal 2023 um 0,1% geschrumpft ist. Weil es auch im 3. Quartal nachgegeben hatte, war allgemein von einer technischen Rezession die Rede.

Unterdessen liegt die Kerninflation über 5%, und die Arbeitslosenquote betrug im 4. Quartal 3,8%. Ist das Stagflation? Oder ist die Produktivität so niedrig, dass die Beschäftigung zwar steigt, aber die Produktion sinkt? Auf jeden Fall ist es ein Umfeld, in dem man klare Überzeugungen braucht. Ich schätze britische Staatsanleihen, weil die Bank of England wegen des schwachen Wachstums vielleicht irgendwann die Zinsen deutlich senkt. Allerdings erwartet der Markt für Großbritannien dieses Jahr weniger Zinssenkungen als für den Euroraum - obwohl die Euroraum-Wirtschaft zwar schwach ist, die britische Wirtschaft aber schon seit über zwei Jahren stagniert. Angesichts des Gegensatzes zu den USA, auf den ich noch eingehe, ist es erstaunlich, dass das Pfund bei 1,25 US-Dollar notiert. Ein erneuter Test der Tiefststände von 2022 - 1,07 US-Dollar - wäre durchaus vorstellbar.

2020, das Jahr der zwei Schocks: Kurz nach dem endgültigen Austritt Großbritanniens aus der EU am 31. Januar 2020 kam Corona. Was mich wirklich irritiert ist, dass das reale Exportwachstum seitdem nur 0,25% im Quartal betrug, gegenüber 1,1% von 1995 bis 2019. Das Importwachstum blieb hingegen weitgehend unverändert, und das Konsumwachstum auch. Die Staatsausgaben stiegen seit 2020 etwa doppelt so stark wie zuvor, weil die Regierung auf Corona reagieren musste und die Staatsbediensteten kräftige Lohnerhöhungen forderten. Man könnte meinen, dass Großbritannien durch den Brexit weniger exportieren kann und dies das Wachstum bremst. Nach den OECD-Vergleichszahlen ist die britische Wirtschaft real heute nur um 2,3% größer als im 1. Quartal 2016. Die US-Wirtschaft ist um 10% gewachsen, und auch Frankreich, Italien, Spanien und Kanada legten stärker zu.

Keine überzeugende Investmentstory: Die Lage ist unübersichtlich. Vielleicht wechselt bei den nächsten Unterhauswahlen die Regierung, vor allem, wenn Inflation und Zinsen hoch bleiben und die Wirtschaft weiterhin nicht wächst. All das ist kaum geeignet, internationale Investoren für britische Aktien und Anleihen zu begeistern. Die wirtschaftliche und die politische Lage sind unklar. Über das Wirtschaftsprogramm von Labour wissen wir noch nicht viel. Hinzu kommen Währungsrisiken. Britische Aktien haben seit Jahresbeginn 2,0% bis 2,5% verloren. In lokaler Währung blieben sie hinter den meisten anderen Märkten zurück, mit Ausnahme von China und den mit China verflochtenen Märkten Asiens.

Britische Aktien sind billig. Droht eine Value-Falle? Der FTSE 350 Index, der etwa 90% der britischen Aktienmarktkapitalisierung abdeckt, notiert zurzeit bei einem erwarteten 12-Monats-KGV von etwa 10,8. Bereinigt sind das etwa 0,74 Standardabweichungen weniger als das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis seit 2008. Nur China ist billiger, während US-Aktien nach diesem Indikator 1,46 Standardabweichungen über ihrem 15-Jahres-Durchschnitt notieren. Der britische Markt ist also günstig, mit einer impliziten Gewinnrendite von mehr als 9% - mehr als das Doppelte der britischen Zehnjahresrendite. Value-Falle oder nicht? Seit 2015 sind die Bewertungen gefallen, und die Gesamterträge britischer Aktien waren unterdurchschnittlich. In den letzten zehn Jahren verdiente man nur 5% p.a., gegen-über 12% beim S&P 500, 9,2% beim MSCI World und 7,1% beim Euro600.

Oder sind sie doch eine Kaufgelegenheit? Jetzt kommen die guten Nachrichten: Mit britischen Aktien hat man regelmäßig mehr verdient als mit britischen Unternehmensanleihen. Über fünf, zehn und 20 Jahre lag der Gesamtertrag britischer Aktien um etwa 350 Basispunkte über dem Ertrag britischer Unternehmensanleihen. Für britische Investoren sind britische Aktien eine naheliegende Wahl. Es gibt erfolgreiche Unternehmen mit internationaler Präsenz, Firmen aus dynamischen Sektoren wie Informationstechnologie und Lifesciences, Großbanken sowie weltweit tätige Konsumverbrauchsgüter-, Mode- und Rohstoffkonzerne. Außerdem steigen die Gewinnerwartungen. Auf Indexebene gingen die Gewinne je Aktie 2023 um schätzungsweise 9% zurück. Für 2024 werden derzeit 5% Wachstum erwartet, und für 2025 sogar 8%. Bei einer Dividendenrendite von 4% sind hohe einstellige oder niedrige zweistellige Erträge in den nächsten Jahren absolut vorstellbar.

Ich mag Anleihen, wie sich vielleicht herumgesprochen hat. Aber es könnte in einer stagnierenden Wirtschaft einiges geben, was Aktien helfen kann - Zinssenkungen etwa, ein schwächeres Pfund und die Aussicht auf einen Regierungswechsel. All das sagt zwar wenig darüber aus, wie attraktiv britische Aktien im internationalen Ver-gleich sind, doch sind britische Unternehmen zweifellos nicht hoch verschuldet. Laut Bloomberg beträgt der Quotient aus Nettoschulden und Unternehmensgewinnen (E-BITDA) beim UK 350 0,42, aber 1,39 beim S&P 500 und 3,76 beim EuroStoxx Index.

Und die USA stürmen voran: Dennoch ist Großbritannien international eher ein Nischenmarkt. Für britische Aktien interessieren sich vor allem britische Investoren und Private-Equity-Gesellschaften, die auf interessante Turnarounds hoffen. Die Musik spielt weiterhin in den USA. Hier legen die Aktienkurse so stark zu wie nirgendwo sonst, und noch immer entfällt der Löwenanteil der Erträge und des Gewinnwachstums auf hoch kapitalisierte IT-Werte. Trotz der Schadenfreude mancher Journalisten angesichts der schwachen Kurzfristperformance von Apple und Tesla besteht an den übrigen Magnificent Seven und dem Technologiesektor insgesamt weiterhin kein Zweifel. Etwa 50% des Gesamtertrags des S&P 500 Index entfielen letztes Jahr auf den IT-Sektor, und kapitalisierungsgewichtet sorgt er in den USA für etwa 50% der Gewinne je Aktie. Ich bleibe für IT so lange optimistisch, wie generative KI und verwandte Technologien immer wichtiger werden.

Stabile Renditen: 2022 litten amerikanische Technologiewerte unter den steigenden Langfristzinsen. Man spricht auch von Aktien mit einer langen Duration, weil der Gegenwartswert ihrer erwarteten Gewinne bei steigenden Zinsen überdurchschnittlich fällt. Die Langfristzinsen haben sich aber jetzt stabilisiert, und die Gewinne sind noch stärker gewachsen als zuvor. Die Konjunktur bleibt stabil; statt einer harten oder weichen Landung prognostiziert man jetzt "keine Landung". Man rechnet also mit weiterem Wachstum bei einer Inflation über dem Zielwert, sodass die Fed auch keinen Grund zu Zinssenkungen hat. Als die Inflation im Januar leicht über den Erwartungen lag, rechnete man zunehmend mit einer solchen Entwicklung, zumal die Dienstleistungsinflation recht hartnäckig ist.

Auf die Prognosen der Fed kommt es an: Tatsache ist aber, dass die amerikanischen Güterpreise seit Ende 2022 im Vorjahresvergleich fallen und die Dienstleistungspreisinflation ihren Höhepunkt schon im Januar 2023 erreicht hatte, mit da-mals 7,6% z.Vj. Seitdem geht sie zurück. Sie liegt zwar noch immer über ihrem Durchschnitt von 4% z.Vj. (seit 1990), dürfte aber fallen, weil die Wohnkosten allmählich die Immobilienmarktentwicklung abbilden. Es ist aber keineswegs ungewöhnlich, dass die Güterpreisinflation extrem niedrig oder gar negativ ist und die Dienstleistungspreise, für die der internationale Wettbewerb keine so große Rolle spielt, stärker steigen. So war es in den USA etwa von 1997 bis 2021. Die Durchschnittsinflation lag unterdessen dicht am Zielwert der Fed. Sie hat die Diskrepanz zwischen Güter- und Dienstleistungspreisentwicklung akzeptiert. Sie wusste, dass sie mit Maßnahmen zur Stabilisierung der Dienstleistungspreise eine Rezession und massive Kreditprobleme riskieren würde. Tatsächlich hat die Straffung der Geldpolitik um das Jahr 2005 herum - eine Reaktion auf den etwas stärkeren Anstieg der Güter- und Dienstleistungspreise - die Immobilienkrise ausgelöst.

Es könnte wahrscheinlicher werden, dass die Fed ihre Leitzinsen kaum ändert und die Geldpolitik nur noch geringfügig, dafür aber häufiger an die Konjunktur anpasst. Einstweilen halte ich aber eine weiche Landung für den wahrscheinlichsten Fall. Wenn die niedrige Inflation in China der Vorbote weltweit fallender Güterpreise ist und die US-Dienstleistungsinflation in den nächsten Monaten weiter abnimmt, bleiben Zinssenkungen ab Juni das Basisszenario der Investoren. Achten Sie bei der nächsten Offenmarktausschusssitzung der Fed aber genau auf den Dotplot: Wenn die Ausschussmitglieder ihre Prognosen nicht ändern, dürfte man mit US-Anleihen in den nächsten Monaten erneut kräftig verdienen. Vermutlich wird die Fed bestätigen, dass der neutrale Langfristzins ihrer Ansicht nach noch immer etwa 2,5% beträgt. Dann wäre die derzeitige Geldpolitik zu straff.

Sport verbindet, Sport trennt: Auch im Sport ist letzte Woche viel passiert, in den USA wie in Großbritannien. In den USA war es der Höhepunkt der American-Football-Saison, in Großbritannien der zweite Spieltag der Six Nations Championship im Rugby. Ich wollte für die 58. Auflage des Super Bowl wach bleiben, schlief aber nach dem ersten Viertel ein - ich fand es langweilig, war aber auch müde. Wenige Stunden zuvor hatte Manchester United durch einen Kopfball von Scott McTominay Aston Villa besiegt. Das fand ich sehr viel spannender. Der amerikanische und der britische Sport sind toll! Auch wenn ich wahrscheinlich auch in Zukunft mehr in amerikanische als in britische Aktien investieren werde, gehört mein Herz nicht der NFL, sondern der Premier League - und auch nicht dem Super Bowl, sondern dem FA Cup Final.

© 2024 Asset Standard
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