Berlin (ots) -
Nach fünf Jahren Berlinale-Doppelspitze ist es Zeit für eine Neuausrichtung
Mit dem heutigen Publikumstag geht die 74. Berlinale zu Ende. Und damit auch die Ära der ersten Doppelspitze des Festivals, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian. Es ist die zweitkürzeste Amtsperiode in der Geschichte der Filmfestspiele, nach Wolf Donner (1976-78). Und es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Was nicht leicht fällt, weil das Tandem eigentlich im Dauer-Krisenmodus war: wegen Corona, aber auch wegen des Abspringens von Sponsoren und Veranstaltungsorten, der Verödung des Potsdamer Platzes - und zuletzt schmerzlicher Sparvorgaben.
Geschäftsführerin Rissenbeek, die bereits vor einem Jahr verkündete, dass sie ihren fünfjährigen Vertrag nicht verlängern werde, hat diese Krisen ziemlich bravourös bewältigt. Auch wenn der wegen seiner Personalpolitik in der Kritik stehende Fahrdienst Uber ein schwieriger Hauptsponsor ist - die 68-Jährige fand immer eine Lösung, um den schlingernden Dampfer wieder auf Kurs zu bringen.
Anders verhält es sich bei Chatrian. Der 52-Jährige wäre als Programmleiter gern geblieben, wurde aber von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) auf höchst entwürdigende Weise degradiert, bis er im Sommer hinwarf. Mit Spannung hat man deshalb sein letztes Programm erwartet. Weil man sehen wollte, was er zum Abschluss noch mal auffährt.
Chatrian hat Martin Scorsese als Ehrengast nach Berlin gebracht. Das war ein Coup. Und eine Spitze. Hat Scorsese doch einen internationalen Protestbrief an Frau Roth unterzeichnet. Ebenso wie Christian Petzold, der in der Internationalen Jury saß. Chatrian hat mit Lupita Nyong'o auch die erste schwarze Jurypräsidentin des Festivals gewonnen. Ansonsten aber verlief seine letzte Edition wie die vier davor.
Ein Programm mit Anstand, ein Fest für Cineasten. Aber der Glamour hätte höher ausfallen können. Und hier verfolgte Chatrian dieselbe Politik, für die schon sein Vorgänger Dieter Kosslick gerügt wurde: dass er Hollywoodstars nach Berlin brachte, aber mit Independentproduktionen, die nicht immer überzeugten - wie der Eröffnungsfilm mit Oscar-Kandidat Cillian Murphy. Ein Festival darf aber nicht nur hohe Kunst, es muss auch Kirmes und Unterhaltung bieten, zumal auf einem Publikumsfestival wie der Berlinale. Chatrian, der zuvor das kleinere A-Festival im beschaulichen Locarno leitete, hat letztlich auch in Berlin immer seinen ambitionierten, aber elitären Locarno-Kurs weitergeführt. Dass er den sehnsüchtig erwartete Science-Fiction-Film "Dune: Part Two" nicht für Berlin gewinnen konnte (oder wollte) und der stattdessen am Tag der Berlinale-Eröffnung Europapremiere in London feierte (und drei Tage zuvor eine Vorpremiere in Paris), sagt alles. Überhaupt war in diesem Jahr kein einziges Major-Studio aus Hollywood vertreten. Das ist bitter, zeigt aber, dass Chatrian einfach nicht gut vernetzt war.
In seiner Eröffnungsrede hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner Chatrian versehentlich Carlos genannt. Sowas kann passieren, ist aber - wie auch die Tatsache, dass Chatrian bis zuletzt die deutsche Sprache nicht gut beherrschte - ein Zeichen, dass der Italiener hier nie wirklich angekommen ist. So entwürdigend sein Abgang verlief, er tut vielleicht not.
Denn auf die Berlinale kommen unruhige Zeiten zu. Sie drohte schon zu einem regionalen Filmfest zu verkümmern. 2027 läuft überdies der Vertrag am Potsdamer Platz aus. Und dann gilt es, 2025 noch ein großes Jubiläum zu feiern, die 75. Berlinale. Da kommt viel zu auf Tricia Tuttle, die ab April übernimmt. Aber bei der Vorstellung der künftigen Intendantin im Dezember hat die Amerikanerin in einer halben Stunde schon mehr Elan und Gestaltungswillen gezeigt als Chatrian in fünf Jahren.
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Nach fünf Jahren Berlinale-Doppelspitze ist es Zeit für eine Neuausrichtung
Mit dem heutigen Publikumstag geht die 74. Berlinale zu Ende. Und damit auch die Ära der ersten Doppelspitze des Festivals, Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian. Es ist die zweitkürzeste Amtsperiode in der Geschichte der Filmfestspiele, nach Wolf Donner (1976-78). Und es ist Zeit, Bilanz zu ziehen. Was nicht leicht fällt, weil das Tandem eigentlich im Dauer-Krisenmodus war: wegen Corona, aber auch wegen des Abspringens von Sponsoren und Veranstaltungsorten, der Verödung des Potsdamer Platzes - und zuletzt schmerzlicher Sparvorgaben.
Geschäftsführerin Rissenbeek, die bereits vor einem Jahr verkündete, dass sie ihren fünfjährigen Vertrag nicht verlängern werde, hat diese Krisen ziemlich bravourös bewältigt. Auch wenn der wegen seiner Personalpolitik in der Kritik stehende Fahrdienst Uber ein schwieriger Hauptsponsor ist - die 68-Jährige fand immer eine Lösung, um den schlingernden Dampfer wieder auf Kurs zu bringen.
Anders verhält es sich bei Chatrian. Der 52-Jährige wäre als Programmleiter gern geblieben, wurde aber von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) auf höchst entwürdigende Weise degradiert, bis er im Sommer hinwarf. Mit Spannung hat man deshalb sein letztes Programm erwartet. Weil man sehen wollte, was er zum Abschluss noch mal auffährt.
Chatrian hat Martin Scorsese als Ehrengast nach Berlin gebracht. Das war ein Coup. Und eine Spitze. Hat Scorsese doch einen internationalen Protestbrief an Frau Roth unterzeichnet. Ebenso wie Christian Petzold, der in der Internationalen Jury saß. Chatrian hat mit Lupita Nyong'o auch die erste schwarze Jurypräsidentin des Festivals gewonnen. Ansonsten aber verlief seine letzte Edition wie die vier davor.
Ein Programm mit Anstand, ein Fest für Cineasten. Aber der Glamour hätte höher ausfallen können. Und hier verfolgte Chatrian dieselbe Politik, für die schon sein Vorgänger Dieter Kosslick gerügt wurde: dass er Hollywoodstars nach Berlin brachte, aber mit Independentproduktionen, die nicht immer überzeugten - wie der Eröffnungsfilm mit Oscar-Kandidat Cillian Murphy. Ein Festival darf aber nicht nur hohe Kunst, es muss auch Kirmes und Unterhaltung bieten, zumal auf einem Publikumsfestival wie der Berlinale. Chatrian, der zuvor das kleinere A-Festival im beschaulichen Locarno leitete, hat letztlich auch in Berlin immer seinen ambitionierten, aber elitären Locarno-Kurs weitergeführt. Dass er den sehnsüchtig erwartete Science-Fiction-Film "Dune: Part Two" nicht für Berlin gewinnen konnte (oder wollte) und der stattdessen am Tag der Berlinale-Eröffnung Europapremiere in London feierte (und drei Tage zuvor eine Vorpremiere in Paris), sagt alles. Überhaupt war in diesem Jahr kein einziges Major-Studio aus Hollywood vertreten. Das ist bitter, zeigt aber, dass Chatrian einfach nicht gut vernetzt war.
In seiner Eröffnungsrede hat der Regierende Bürgermeister Kai Wegner Chatrian versehentlich Carlos genannt. Sowas kann passieren, ist aber - wie auch die Tatsache, dass Chatrian bis zuletzt die deutsche Sprache nicht gut beherrschte - ein Zeichen, dass der Italiener hier nie wirklich angekommen ist. So entwürdigend sein Abgang verlief, er tut vielleicht not.
Denn auf die Berlinale kommen unruhige Zeiten zu. Sie drohte schon zu einem regionalen Filmfest zu verkümmern. 2027 läuft überdies der Vertrag am Potsdamer Platz aus. Und dann gilt es, 2025 noch ein großes Jubiläum zu feiern, die 75. Berlinale. Da kommt viel zu auf Tricia Tuttle, die ab April übernimmt. Aber bei der Vorstellung der künftigen Intendantin im Dezember hat die Amerikanerin in einer halben Stunde schon mehr Elan und Gestaltungswillen gezeigt als Chatrian in fünf Jahren.
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