KAIRO/GAZA/TEL AVIV/WASHINGTON (dpa-AFX) - Das zähe Ringen um eine befristete Waffenruhe im umkämpften Gazastreifen und die Freilassung von israelischen Geiseln ist am Wochenende erneut ins Stocken geraten. Zwar trafen Delegationen der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas und der Vermittlerstaaten USA und Katar am Sonntag in Kairo zu einer weiteren Gesprächsrunde ein, wie der Sender Al-Kahira News und Sicherheitskreise bestätigten. Israel entsandte jedoch vorerst keine Delegation in die ägyptische Hauptstadt.
Der jüdische Staat habe von der Hamas über den Vermittler Katar "keine befriedigende Antwort" auf offene Fragen erhalten, berichtete die Zeitung "Times of Israel" unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten israelischen Regierungsbeamten. Israel verlangt von der Hamas eine Liste der noch lebenden Geiseln in ihrer Gewalt. Das Land will außerdem wissen, ob die Hamas der im letzten Vorschlag der Vermittler genannten Zahl an palästinensischen Häftlingen zustimmt, die im Austausch gegen Geiseln freizulassen wären. Medienberichte hatten zuletzt von 40 Geiseln gesprochen, die gegen 400 Palästinenser in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden könnten.
Die Pattsituation könnte zu einem Problem für die Bemühungen um eine Feuerpause werden. Die in London erscheinende katarische Tageszeitung "Al Araby Al Jadid" zitierte einen ranghohen Hamas-Funktionär mit der Aussage, dass sich seine Organisation nicht zur Herausgabe einer Geiselliste zwingen lasse. "Dafür ist ein hoher Preis zu zahlen, in Form einer Linderung des Leids der Menschen in Gaza und eines umfassenden Waffenstillstands", sagte er dem Blatt. Der Vermittlervorschlag sieht nach US-Angaben lediglich eine sechswöchige Waffenruhe vor.
Fast fünf Monate dauert der Gaza-Krieg bereits. Auslöser war der brutale Überfall der Hamas und anderer extremistischer Gruppen in israelischen Grenzorten am 7. Oktober. Dabei hatten die Terroristen 1200 Menschen getötet und weitere 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Wegen der hohen palästinensischen Opferzahlen im Gazastreifen und der katastrophalen humanitären Lage im Kriegsgebiet wächst der Druck auf eine Waffenruhe. Auch die USA drängen auf eine Einigung.
USA werfen erstmals Hilfsgüter aus der Luft ab
Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde bezifferte am Sonntag die Zahl der getöteten Palästinenser seit Kriegsbeginn mit 30 410. Rund 71 700 weitere Menschen sollen demnach verletzt worden sein. Allein in den letzten 24 Stunden seien 90 Palästinenser infolge von Kampfhandlungen ums Leben gekommen und weitere 117 verletzt worden. Dutzende Opfer blieben noch unter Trümmern verschüttet und seien deshalb in diesen Zahlen nicht berücksichtigt. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen und machen keinen Unterschied zwischen bewaffneten Kämpfern und Zivilisten, gelten aber im Großen und Ganzen als zuverlässig.
Angesichts der humanitären Katastrophe im Gazastreifen warf die US-Luftwaffe am Samstag erstmals Hilfsgüter aus der Luft über dem abgeriegelten Küstenstreifen ab. Wie amerikanische Stellen mitteilten, hätten Transportflugzeuge des US-Militärs vom Typ C-130 66 Paletten mit etwa 38 000 Fertigmahlzeiten abgeworfen. Es habe sich um eine gemeinsame Aktion mit der jordanischen Luftwaffe gehandelt. Es liefen Planungen für weitere Einsätze dieser Art.
Laut Augenzeugen hoben Einheimische ihre Hände zu den Flugzeugen, die so tief flogen, dass die Einheimischen erkennen konnten, dass es sich um US-Maschinen handelte. Abgeworfen wurden Hilfsgüter den Augenzeugen zufolge unter anderem über der Stadt Gaza im Norden des Küstenstreifens und über Rafah im Süden. Zuvor hatten schon Jordanien, Ägypten und Frankreich derartige Hilfsflüge durchgeführt, die stets mit Israel abgestimmt waren.
Helfer halten Abwürfe aus der Luft für wenig wirksam
Die abgeworfenen Lebensmittel oder Medikamente bringen eine gewisse Linderung der Not, vor allem in Gebieten, die wie der nördliche Gazastreifen mit Hilfslieferungen auf dem Landweg nur schwer oder gar nicht zu erreichen sind. UN-Organisationen weisen allerdings darauf hin, dass die Mengen, die durch Abwürfe geliefert werden können, eher gering sind.
Bei der großen Zahl der Not leidenden Menschen in Gaza verpuffe die Wirkung schnell, heißt es. Hinzu komme, dass in den betroffenen Gebieten durch den Krieg jede Ordnung zusammengebrochen ist. Regelmäßig kommt es im Kampf um die Hilfslieferungen zu heftigen Rangeleien zwischen verzweifelten Bewohnern. Einfacher wäre es nach Einschätzung von UN-Mitarbeitern, wenn Israel Lkw-Hilfslieferungen auch über Grenzübergänge im Norden des Gazastreifens zulassen würde.
Weltsicherheitsrat mahnt Schutz der Zivilisten im Gazastreifen an
Der Weltsicherheitsrat mahnte den Schutz der Zivilisten in dem abgeriegelten Küstenstreifen an. "Die Parteien wurden nachdrücklich aufgefordert, den Zivilisten im Gazastreifen die Grundversorgung und humanitäre Unterstützung nicht vorzuenthalten", heißt es in einer am Samstag (Ortszeit) in New York veröffentlichten Mitteilung der UN. In ihrer Erklärung hätten die Ratsmitglieder ihre "große Besorgnis" zum Ausdruck gebracht, dass die mehr als zwei Millionen Bewohner Gazas einem "alarmierenden Ausmaß an akuter Ernährungsunsicherheit ausgesetzt sein könnten". Israel wurde aufgefordert, die Grenzübergänge für humanitäre Hilfe geöffnet zu halten und die Öffnung zusätzlicher Übergänge zu ermöglichen.
Israels Armee startet Angriffswelle in Chan Junis
Die israelische Armee startete in der Nacht zum Sonntag nach eigenen Angaben eine neue Angriffswelle in der südlichen Gaza-Stadt Chan Junis. Innerhalb von sechs Minuten hätten Luftwaffe und Artillerie rund 50 Ziele der islamistischen Hamas im Westen der Stadt getroffen, teilte das Militär mit. Unter anderem hätten die Luft- und Artillerieschläge Tunnels, Bunker, Stützpunkte und Raketenabschussstellungen der Hamas zerstört. Bodentruppen seien anschließend in das beschossene Areal eingerückt und hätten Dutzende Hamas-Kämpfer getötet. Die Angaben waren zunächst nicht unabhängig zu überprüfen./str/edr/raf/ln/jac/arb/gm/DP/he