HAMBURG (dpa-AFX) - Tränen, Jubel und sprachlose Küchenchefs: In Hamburg sind am Dienstag die neuen Michelin-Sterne an herausragende Restaurants verliehen worden. Und obwohl auch die Gastro-Branche mit Fachkräftemangel, steigenden Einkaufspreisen, Inflation und höheren Energiekosten zu kämpfen hat, gibt es in Deutschland so viele Sterne-Restaurants wie nie zuvor. Insgesamt 340 Betriebe können sich in diesem Jahr mit mindestens einem Stern des Gourmetführers "Guide Michelin" schmücken. Das geht aus dem 468-seitigen Restaurantführer hervor, der am Dienstagabend in Hamburg vorgestellt worden ist und Anfang Mai erscheinen soll.
Die Menge an herausragenden Restaurants hat auch den Direktor des "Guide Michelin" für Deutschland und die Schweiz, Ralf Flinkenflügel, überrascht. "Wir sind selbst erstaunt über den neuen Rekord. Es gab noch nie so viele Sterne in Deutschland - gerade in Anbetracht der Situation nicht."
Zehn Restaurants dürfen 2024 die höchste Michelin-Auszeichnung tragen und sich mit drei Sternen schmücken. Neu im Sterne-Olymp ist dabei das oberbayerische Restaurant "Ess:enz" von Edip Sigl in Grassau, das erst vor zwei Jahren mit zwei Sternen ausgezeichnet wurde und nun bereits den dritten Stern in der Tasche hat. "Eine ganz großartige Leistung. Hier stechen die absolute Top-Qualität der Produkte und die ganz persönliche Stilistik von Herrn Sigl heraus", hieß es dazu von den Inspekteurinnen und Inspekteuren.
Sigl freute sich auf der Bühne sehr über die Auszeichnung. "Unglaublich. Ich dachte, mehr geht gar nicht innerhalb von drei Jahren. Ich freue mich ungemein", sagte der Sternekoch nach der Verleihung. Seine Kinder hätten schon blaue Finger, weil sie seit Wochen die Daumen drückten. "Ein Traum ist in Erfüllung gegangen."
Die neun anderen Drei-Sterne-Restaurants finden sich in Berlin ("Rutz"), Baden-Württemberg ("Bareiss" sowie "Schwarzwaldstube" in Baiersbronn), Bayern ("Jan" in München), Hamburg ("The Table"), Niedersachsen ("Aqua" in Wolfsburg), Rheinland-Pfalz ("Waldhotel Sonnora" in Dreis, "Schanz. Restaurant" in Piesport) sowie im Saarland ("Victor's Fine Dining by Christian Bau" in Perl).
Das Inspektionsteam hat zudem 50 Restaurants mit zwei Sternen bewertet. Davon sind drei neu und zwar das "Komu" in München, das "Pur" in Berchtesgaden (Bayern) und das "Seo Küchenhandwerk" in Langenargen (Baden-Württemberg). Außerdem stehen nun 280 Spitzenküchen mit einem Stern - davon 32 neu - im "Guide Michelin Deutschland 2024".
An die "Schwarzwaldstube" geht zudem der Sommelier-Award. Den durfte der seit 30 Jahren tätige Sommelier Stéphane Gass mit nach Hause nehmen. "Das ist ein besonderer und verrückter Moment. Das ist ganz besonders", sagte er auf der Bühne. Der Mentor-Chef-Award ging an Sven Elverfeld aus dem Drei-Sterne-Restaurant "Aqua" in Wolfsburg. Sein Tipp für Köchinnen und Köche: "Offen sein für Neues. Auch inspirieren lassen. Und: Egal, wo man arbeitet, man arbeitet fast nie allein. Es muss immer ein Team dabei sein, sonst funktioniert es von vorne bis hinten nicht." Der Young-Chef-Award ging an Cédric Staudenmayer, der mit Mitte 20 zudem seinen ersten Stern für das Restaurant "Cédric" in Weinstadt (Baden-Württemberg) erkocht hat.
In Deutschland sind etwa zwei Dutzend Testerinnen und Tester anonym im Einsatz. Der Vergabe der begehrten Sterne liegt ein einheitliches Bewertungssystem zugrunde - egal in welchem Land. Als Kriterien gelten unter anderem die Qualität der Produkte, eine persönliche Note, das Preis-Leistungs-Verhältnis sowie eine auf Dauer gleichbleibende Qualität.
Vor zehn Jahren noch habe es lediglich 274 Restaurants mit einem, zwei oder drei Sternen in Deutschland gegeben, sagte Flinkenflügel. Seitdem habe sich die deutsche Koch-Elite viel bewegt. Es gehe lockerer, legerer und lustiger in den Spitzenrestaurants zu. "Es ist nicht mehr so steif wie vor 20, 30 Jahren." Gleichzeitig sei die Qualität gestiegen. "Die Kriterien haben sich ja nicht verändert - die deutsche Küche wird immer besser", sagte Flinkenflügel dazu. "Da könnten wir auch ein wenig mehr Stolz nach außen zeigen über das, was sich hier in den vergangenen 10 bis 15 Jahren entwickelt hat."
Spürbare Veränderungen gibt es auch in Sachen Nachhaltigkeit. Immer mehr Küchen greifen die Wünsche der Kundschaft nach umweltbewusstem Handeln auf. Sie kochen saisonal, regional, greifen auf Fleisch und Fisch aus artgerechter Haltung zurück und vermeiden Müll. 77 Restaurants können deshalb nun einen Grünen Stern ihr Eigenen nennen - zehn mehr als 2023.
Diese Entwicklung schätzt auch der Verband der Köche Deutschlands (VdK) als wichtig ein. Viele Küchen würden das Top-Niveau anstreben, es sei aber auch mit enormem Druck verbunden, einen erkochten Stern zu behalten, sagte VdK-Präsident Daniel Schade dazu der dpa. "Spannend finde ich die "Grünen Sterne", die mit ihrem Fokus auf Nachhaltigkeit am Puls der Zeit sind." Sehr gute kulinarische Qualität gebe es in Deutschland indes mit und ohne Stern.
Einige Restaurants büßten jedoch auch einen Stern ein. So mussten 27 Küchen einen oder mehrere Sterne abgeben. Die Gründe dafür sind unterschiedlich: "Sie haben entweder geschlossen oder ihr Konzept geändert oder es hat Qualitätsgründe", sagte Flinkenflügel.
Der kleine rote Reiseführer "Guide Michelin" sollte vor mehr als 100 Jahren mehr Autofahrer zum Reisen bewegen. Die Gründer der französischen Reifenfirma Michelin wollten damit ihren Verkauf ankurbeln. Der 1910 erstmals erschienene Reiseführer enthielt zunächst Karten sowie Tipps für Autofahrende zum Tanken, Reifenwechseln, Essen und Übernachten. Die ersten Sterne für gehobene Gastronomie wurden schließlich 1926 vergeben. In Deutschland gab es 1966 die ersten Michelin-Sterne.
Neben dem "Guide Michelin" erscheint auch der Restaurantführer "Gault&Millau" regelmäßig als wichtiger internationaler Gourmet-Ratgeber. Er vergibt Kochmützen für ausgezeichnete Kochkunst./cgl/DP/he