Berlin (ots) -
Vor zwölf Jahren habe ich als 19 Jahre alter Sportreporter, der viel über die Bundesliga berichtete und Deutsch allein aus Begeisterung für Oliver Kahn, Erik Zabel und Sven Hannawald gelernt hat, in Charkiw über das EM-Spiel Deutschland gegen die Niederlande geschrieben. Die damalige Europameisterschaft war ein Fest - und ein prägendes Ereignis meiner Jugend. Als die gleichen Teams am Dienstag in Frankfurt spielten, sah es in Charkiw anders aus: Nach massiven russischen Angriffen auf die Energieinfrastruktur bleiben 200.000 Menschen ohne Strom. Für alle anderen wird er auf sechs Stunden pro Tag begrenzt. Weitere Großstädte kämpfen ebenfalls mit Elektrizitätsproblemen.
Kiew, wo ich inzwischen lebe, wurde in den vergangenen Tagen gleich drei Mal von Russland angegriffen. Als die ukrainische Nationalelf durch den verdienten Play-off-Sieg gegen Island das Ticket für die EM in Deutschland löste, war die Freude trotzdem riesig. Feiern konnten die Ukrainerinnen und Ukrainer das wegen der nächtlichen Sperrstunde zwar zu Hause, doch überall war von einem "Fest" die Rede - und einem Erfolg, den inmitten der neuen Welle der russischen Luftangriffe "wir alle so gebraucht haben".
Natürlich gibt es angesichts des mehr als 760 Tage andauernden vollumfänglichen Krieges wichtigere Angelegenheiten als Fußball. Doch eben weil dieser Krieg auf Dauer mental extrem schwer zu ertragen ist, sind Momente so wichtig, in denen man zumindest ein bisschen abschalten kann - und sei es nur für 90 Minuten. Solche Momente wird es für die Ukraine im kommenden Sommer des Öfteren geben. Das ist sehr erfreulich. Denn die Chancen stehen gut, dass die ukrainische Mannschaft nicht einfach nur an der EM teilnehmen, sondern die Fußball-Fans im gesamten Land auch begeistern wird.
Um Trainer Serhij Rebrow, der einst mit dem heutigen Verbandspräsidenten Andrij Schewtschenko das legendäre Stürmerduo von Dynamo Kiew bildete, hat um sich eine hungrige junge Truppe geschart, die nicht nur mit internationalen Stars wie Andriy Lunin (Real Madrid), Oleksandr Sintschenko (FC Arsenal) und Mychajlo Mudryk (FC Chelsea), sondern auch mit weiteren Talenten glänzt, die international noch nicht so bekannt sind. In der Gruppe mit Belgien, Rumänien und der Slowakei kann die Rebrow-Elf sicher eine bemerkenswerte Rolle spielen - vielleicht sogar darüber hinaus.
Sportlich wird die ukrainische Auswahl, die in ihrer Qualifikationsgruppe auf Augenhöhe mit dem amtierenden Europameister Italien und dem EM-Finalisten England kämpfte, also ganz sicher eine Bereicherung für das Turnier werden. Nach mehr als zwei Kriegsjahren bietet die Meisterschaft aber auch wieder die Chance, aus einer etwas anderen Perspektive auf die Ukraine zu blicken. Mein Land wird aktuell fast ausschließlich mit Krieg und Leid assoziiert - und es ist tatsächlich unsere unverzichtbare Aufgabe, immer wieder darauf hinzuweisen, was sich hier täglich ereignet.
Dennoch führt die Ukraine diesen Verteidigungskrieg nicht um des Krieges willen, sondern für das Recht aufs Überleben, wie ein Kollege es neulich treffend formulierte. Auch der Fußball kann eine Bühne sein, um das zu unterstreichen. Denn zu einem friedlichen Leben gehört eben auch der Sport. Unser Ziel und unsere Hoffnung ist daher auch, dass die ukrainische Nationalelf eines Tages ihre Heimspiele nicht mehr in Polen austragen muss und Feste wie die EM 2012 wieder in Charkiw stattfinden können.
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Vor zwölf Jahren habe ich als 19 Jahre alter Sportreporter, der viel über die Bundesliga berichtete und Deutsch allein aus Begeisterung für Oliver Kahn, Erik Zabel und Sven Hannawald gelernt hat, in Charkiw über das EM-Spiel Deutschland gegen die Niederlande geschrieben. Die damalige Europameisterschaft war ein Fest - und ein prägendes Ereignis meiner Jugend. Als die gleichen Teams am Dienstag in Frankfurt spielten, sah es in Charkiw anders aus: Nach massiven russischen Angriffen auf die Energieinfrastruktur bleiben 200.000 Menschen ohne Strom. Für alle anderen wird er auf sechs Stunden pro Tag begrenzt. Weitere Großstädte kämpfen ebenfalls mit Elektrizitätsproblemen.
Kiew, wo ich inzwischen lebe, wurde in den vergangenen Tagen gleich drei Mal von Russland angegriffen. Als die ukrainische Nationalelf durch den verdienten Play-off-Sieg gegen Island das Ticket für die EM in Deutschland löste, war die Freude trotzdem riesig. Feiern konnten die Ukrainerinnen und Ukrainer das wegen der nächtlichen Sperrstunde zwar zu Hause, doch überall war von einem "Fest" die Rede - und einem Erfolg, den inmitten der neuen Welle der russischen Luftangriffe "wir alle so gebraucht haben".
Natürlich gibt es angesichts des mehr als 760 Tage andauernden vollumfänglichen Krieges wichtigere Angelegenheiten als Fußball. Doch eben weil dieser Krieg auf Dauer mental extrem schwer zu ertragen ist, sind Momente so wichtig, in denen man zumindest ein bisschen abschalten kann - und sei es nur für 90 Minuten. Solche Momente wird es für die Ukraine im kommenden Sommer des Öfteren geben. Das ist sehr erfreulich. Denn die Chancen stehen gut, dass die ukrainische Mannschaft nicht einfach nur an der EM teilnehmen, sondern die Fußball-Fans im gesamten Land auch begeistern wird.
Um Trainer Serhij Rebrow, der einst mit dem heutigen Verbandspräsidenten Andrij Schewtschenko das legendäre Stürmerduo von Dynamo Kiew bildete, hat um sich eine hungrige junge Truppe geschart, die nicht nur mit internationalen Stars wie Andriy Lunin (Real Madrid), Oleksandr Sintschenko (FC Arsenal) und Mychajlo Mudryk (FC Chelsea), sondern auch mit weiteren Talenten glänzt, die international noch nicht so bekannt sind. In der Gruppe mit Belgien, Rumänien und der Slowakei kann die Rebrow-Elf sicher eine bemerkenswerte Rolle spielen - vielleicht sogar darüber hinaus.
Sportlich wird die ukrainische Auswahl, die in ihrer Qualifikationsgruppe auf Augenhöhe mit dem amtierenden Europameister Italien und dem EM-Finalisten England kämpfte, also ganz sicher eine Bereicherung für das Turnier werden. Nach mehr als zwei Kriegsjahren bietet die Meisterschaft aber auch wieder die Chance, aus einer etwas anderen Perspektive auf die Ukraine zu blicken. Mein Land wird aktuell fast ausschließlich mit Krieg und Leid assoziiert - und es ist tatsächlich unsere unverzichtbare Aufgabe, immer wieder darauf hinzuweisen, was sich hier täglich ereignet.
Dennoch führt die Ukraine diesen Verteidigungskrieg nicht um des Krieges willen, sondern für das Recht aufs Überleben, wie ein Kollege es neulich treffend formulierte. Auch der Fußball kann eine Bühne sein, um das zu unterstreichen. Denn zu einem friedlichen Leben gehört eben auch der Sport. Unser Ziel und unsere Hoffnung ist daher auch, dass die ukrainische Nationalelf eines Tages ihre Heimspiele nicht mehr in Polen austragen muss und Feste wie die EM 2012 wieder in Charkiw stattfinden können.
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