BERLIN (dpa-AFX) - Mit Forderungen nach Abrüstung, Friedensverhandlungen und einem Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine sind bei Ostermärschen in vielen deutschen Städten Tausende Menschen auf die Straße gegangen. Ein Schwerpunkt war Berlin. In der Hauptstadt versammelten sich am Samstag etwa 3500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Im Mittelpunkt der Ostermärsche standen in diesem Jahr der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und der Gaza-Krieg.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und andere Spitzenvertreter der Regierung warben anlässlich der Demonstrationen mit eindringlichen Worten für Verständnis, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf weiter militärisch zu unterstützen - auch mit Blick auf deutsche Sicherheitsinteressen.
Berlin, Hamburg, Stuttgart und Bremen als Schwerpunkte
Die Initiatoren zeigten sich mit der Zahl der Teilnehmer zufrieden. Das Niveau bewege sich ungefähr auf dem des Vorjahres oder sei leicht höher, sagte Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative. Laut einer vorläufigen Übersicht des Netzwerks waren es in ganz Deutschland mehr als 10 000 Menschen. Die größten Märsche gab es demnach in Berlin mit rund 3500, in Stuttgart mit etwa 2000 und in Bremen mit rund 1000 Teilnehmern. In Köln hätten sich etwa 700 Menschen beteiligt und in München 500. Diese Zahlen deckten sich größtenteils mit denen der Polizei, die in Hamburg rund 2000 Personen bei einem Ostermarsch zählte. Die Aktion sei friedlich verlaufen, ebenso eine Gegenveranstaltung mit rund 50 Teilnehmern. Die Ostermärsche zogen bis in die 1980er Jahre hinein noch Hunderttausende auf die Straße. Diese Mobilisierung wird inzwischen nicht mehr erreicht.
Der Friedensaktivist Willi van Ooyen, seit mehr als 40 Jahren ein Organisator der deutschen Ostermarschbewegung, sprach in einer Mitteilung am Montag von bundesweit mehr als 120 Aktionen, Märschen, Friedensgottesdiensten, Fahrraddemonstrationen und Kundgebungen.
Bei der Demonstration in Berlin zeigten Teilnehmer auch Schilder mit den Aufschriften "Freundschaft mit Russland - Viva Palästina" und "Genozid in Gaza". Andere wandten sich gegen die Bundesregierung. Russische und palästinensische Fahnen waren zu sehen.
Scholz: Tun das auch für unsere Sicherheit
"Wir alle sehnen uns nach einer friedlicheren Welt", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in einer am Samstag veröffentlichten Videobotschaft. Aber Frieden ohne Freiheit heiße Unterdrückung, Frieden ohne Gerechtigkeit gebe es nicht. "Deshalb unterstützen wir die Ukraine in ihrem Kampf für einen gerechten Frieden - solange, wie das nötig ist. Wir tun das auch für uns, für unsere Sicherheit."
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) veröffentlichte ebenfalls ein Video und sagte, "wir unterstützen die Ukraine nicht allein aus Solidarität oder Mitgefühl, sondern im Interesse Deutschlands und Europas." Der russische Präsident Wladimir Putin wolle die Einigung und Einheit Europas zerstören. Wenn er mit seinem Krieg in der Ukraine Erfolg habe, werde er weitermachen. "Wir sehnen uns nach Frieden. Ja. Aber die ehrliche, die bittere Antwort ist: Es wird vermutlich kein rasches, gutes Ende geben, auch wenn wir uns anderes wünschen", sagte Habeck. Angesichts der russischen Aggression betonte er: "Wir müssen uns auf die Bedrohungslage einstellen. Alles andere wäre naiv."
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, man könne die Realität nicht ausblenden. "(...) Wenn die Ukraine sich nicht mehr verteidigen kann, weil wir ihr nicht genug Waffen liefern, stehen Putins Truppen morgen an der ukrainisch-polnischen Grenze - nur acht Autostunden von Berlin entfernt. Die Ukraine sichert auch unseren Frieden."
Lindner: Putin will Macht über uns
Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner warnte vor einem Nachlassen der Unterstützung für die Ukraine. "Unser Frieden und unsere Freiheit sind bedroht. Es geht Putin nicht nur um die Ukraine, er will die Friedens- und Freiheitsordnung in Europa verändern", sagte der FDP-Chef dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Er will Macht über uns, um unsere Lebensweise und unseren Wohlstand zu kontrollieren. Wer müde wird, die Ukraine zu unterstützen, weil das zu anstrengend oder zu teuer ist, sollte also die Folgen bedenken. Die Gefahr von Krieg würde näher an uns heranrücken."
Ex-Bundespräsident Joachim Gauck sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, "wer meint, das sei nicht unser Krieg und die Kosten seien zu hoch, der kann ein übles Erwachen erleben. Wenn wir der Ukraine nicht helfen, sich zu verteidigen und den Aggressor zurückzudrängen, dann gerät die europäische Friedensordnung insgesamt ins Wanken - mit unabsehbaren Folgen auch für weitere Länder."
Oppositionsführer Friedrich Merz schrieb in seiner wöchentlichen E-Mail an seine Anhänger, es könne sofort Friede herrschen, wenn Putin die Waffen schweigen ließe. "Es wäre daher sehr zu wünschen, dass sich die Ostermarschierer in diesem Jahr vor allem an Putin und sein Regime in Moskau richten", schrieb der CDU-Chef.
Gegen ein "Einfrieren" des Krieges
Habeck, Baerbock, Lindner, Merz und Gauck wandten sich gegen ein mögliches Einfrieren des Krieges in der Ukraine. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hatte das ins Gespräch gebracht und Kritik auf sich gezogen. "Wie würde es auf uns wirken, sollte in der französischen Nationalversammlung über das Einfrieren eines Konflikts nachgedacht werden, wenn der Feind in Chemnitz stünde?", fragte Lindner. Gauck sagte: "Einfrieren hat schon 2014 mit dem Minsker Abkommen nicht funktioniert." Es brächte Gewinne für Putin, er behielte erobertes Land, könne in Ruhe aufrüsten und dann wieder zuschlagen./jr/DP/he