DJ EZB/Schnabel: Konzept zentraler Inflationsprognosen überdenken
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte das Konzept, ihre Geldpolitik an einer zentralen Inflationsprognose auszurichten, nach Aussage von EZB-Direktorin Isabel Schnabel überdenken. In einer Konferenz des International Research Forum on Monetary Policy nannte Schnabel drei Nachteile dieser prognosebasierten Inflationssteuerung und schlug zwei operative Auswege vor.
1. Trügerische Genauigkeit
"Zentrale Prognosen sind zwar leicht zu kommunizieren, aber sie vermitteln ein falsches Gefühl von Präzision", sagte Schnabel laut veröffentlichtem Redetext. Zwar verbessere die EZB ständig ihre Modelle, aber dennoch blieben deren Ergebnisse unsicher, wie sich nicht nur während der Pandemie und der Energiekrise gezeigt habe. Außerdem tendierten modellbasierte Prognosen, die auf der Grundlage historischer Zeitreihen geschätzt werden, gegen Ende des Projektionszeitraums dazu, zum Mittelwert zurückzukehren ("Mean Reversion"). Das spiegele sich auch in der dem Inflation Targeting zugrundeliegenden Annahme, dass die langfristigen Inflationserwartungen beim Zielwert verankert seien.
"Wenn die Schocks jedoch stark und anhaltend sind und die Inflationserwartungen ihren Anker zu verlieren drohen, kann die Mean Reversion die Geldpolitik prozyklisch machen", sagte Schnabel. Sie sieht die Gefahr, dass die Zentralbank zu spät reagiert, wenn die Wirtschaft von einem hartnäckigeren Inflationsschock getroffen wird, und dass sie die Geldpolitik zu früh lockert, wenn die Inflation wieder zurückgeht.
2. Angebotsschocks können hartnäckig sein
Das Ansteuern einer Inflationsprognose beruht auf der Annahme, dass angebotsseitige Schocks vorübergehender Natur sind und Veränderungen der Wirtschaftstätigkeit von der Gesamtnachfrage entlang einem ausgeglichenen, stetigen Wachstumspfad abhängen. Geldpolitik beeinflusst eben diese Nachfrageseite. Schnabel befürchtet allerdings, dass sich die EZB in den nächsten Jahren hartnäckigen Angebotsschocks wie dem Klimawandel, einer rapiden Bevölkerungsalterung und dem Aufkommen der Künstlichen Intelligenz gegenübersehen wird. Hinzu kämen Herausforderungen wie die sich verändernde Globalisierung und die Spätfolgen der Pandemie.
3. Geldpolitische Transmission ist instabil
Schnabel zufolge beruht die Ansteuerung einer Inflationsprognose auf einer stabilen und wirksamen Übertragung der Geldpolitik, so dass Kursänderungen die gewünschten und vorhergesagten Auswirkungen auf die prognostizierte Inflation haben. "Die Erfahrungen der vergangenen zehn Jahre haben jedoch unser Verständnis der Art und Weise, wie sich Änderungen der kurz- und langfristigen Zinssätze auf Produktion und Inflation auswirken, in Frage gestellt", gab die EZB-Direktorin zu bedenken.
Sie verwies darauf, dass es die EZB vor der Pandemie selbst mit Negativzinsen nicht vermocht habe, Nachfrage und Inflation anzukurbeln, während Ökonomen heute darüber rätselten, warum Teile der Wirtschaft so wenig auf die stärkste geldpolitische Straffung seit Jahrzehnten reagierten. Offenbar verlaufe die geldpolitische Transmission nicht linear und sei zustandsabhängig.
Die EZB-Direktorin machte zwei Vorschläge dafür, wie der geldpolitische Rahmen und die Kommunikation diesen Schwierigkeiten angepasst werden könnten.
1. Ein Dot Plot a la Federal Reserve
Schnabel zufolge könnten die Ansichten der politischen Entscheidungsträger über die von ihnen erwartete künftige Entwicklung der kurzfristigen Zinssätze transparenter gemacht werden, ähnlich dem vom Federal Reserve System verwendeten "Dot Plot". "Die Verteilung dieser Pfade könnte dazu beitragen, die Risiken aufzuzeigen, die die Mitglieder des Ausschusses mit dem vom Stab erstellten Basisszenario verbinden. Je enger die Verteilung ist, desto stärker ist die implizite Zustimmung der politischen Entscheidungsträger und umgekehrt."
2. Alternative Szenarios
Bei Betrachtung verschiedener und möglicherweise gleichermaßen realistischer Pfade für Wachstum und Inflation gibt es möglicherweise gar kein zentrales Szenario mehr. Die EZB hat in der Vergangenheit einige alternative Szenarios veröffentlicht, die von Beobachtern aber nicht besonders ernst genommen wurden.
"Ein Grund dafür könnte sein, dass die von uns betrachteten Szenarien in den meisten Fällen eher partielle als allgemeine Gleichgewichtsszenarien sind oder sich auf "Tail Events" beschränken, was bedeutet, dass sie die dem Basisszenario zugrunde liegende Hauptaussage nicht ernsthaft in Frage stellen", erläuterte Schnabel.
Um die erhebliche Unsicherheit, mit der das Basisszenario behaftet ist, deutlicher zu signalisieren, könnten ihrer Ansicht nach realistische Alternativszenarien - die möglicherweise die Bandbreite der Ansichten innerhalb des EZB-Rats widerspiegeln - einige der wichtigsten Annahmen, die dem Basisszenario zugrunde liegen, in Frage stellen.
Vor diesem Hintergrund hält es Schnabel für denkbar, dass der aktuelle geldpolitische Rahmen gründlich überdacht werden muss - "selbst wenn sich die Inflation einem Niveau nähert, das mit Preisstabilität vereinbar ist".
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April 17, 2024 13:24 ET (17:24 GMT)
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