KIEW/MYKOLAJIW (dpa-AFX) - Vizekanzler Robert Habeck hat der Ukraine die anhaltende Unterstützung der Bundesregierung zugesichert. "Ich bin ja auch hier, um den Gesprächspartnern in der Ukraine und auch den Menschen in der Ukraine noch mal deutlich zu machen, dass Deutschlands Unterstützung, wie ich gesagt habe, verlässlich und dauerhaft sein wird", sagte der Grünen-Politiker am Freitag bei einem Besuch im Südosten des Landes. "Das allerdings erwarten sie auch, denn die militärische Situation an der Front fordert, dass wir die Ukraine jetzt, in der Zeit, wo der Druck sich noch einmal erhöht, weiter und mit mehr Munition und auch mit neuen Waffensystemen unterstützen."
Habeck hatte am Vortag Präsident Wolodymyr Selenskyj getroffen, der sich anschließend öffentlich für die Hilfe Deutschlands bedankte. Am vergangenen Wochenende hatte die Bundesregierung angekündigt, dem Land ein weiteres Patriot-Luftabwehrsystem zu liefern. Deutschland sei vorangegangen in der Erwartung, dass andere Staaten jetzt auch handelten. Die Ukraine leidet schwer unter russischen Angriffen mit Drohnen, Raketen und Gleitbomben.
Am zweiten Tag seines Ukraine-Besuchs holte Habeck am frühen Morgen ein Luftalarm in Kiew aus dem Bett. Nach anderthalb Stunden in der Tiefgarage seines Hotels brach der Minister in den Südosten der Ukraine auf. Während des Aufenthalts des Ministers im Gebiet Mykolajiw wurde dreimal für längere Zeit Luftalarm ausgerufen. Zweimal galt der Alarm möglichen Raketen von der russisch kontrollierten Halbinsel Krim. Beim dritten Alarm wurde von einem russischen Flugzeug eine Rakete auf Anlagen im Schwarzmeerhafen Piwdennyj im Odessaer Gebiet abgefeuert.
Habeck suchte zweimal einen Luftschutzkeller auf. Zu Einschlägen in seiner unmittelbaren Nähe kam es nicht. "Mir ist es noch mal in dem Tag klar geworden, wie sehr dieses Land noch mit den Folgen und der Gegenwart des Krieges lebt und auch zu kämpfen hat", sagte Habeck.
In der Region Mykolajiw besuchte Habeck ein Krankenhaus, das bei den Kämpfen zu Beginn der russischen Invasion vor zwei Jahren nur noch wenige Kilometer hinter der Front lag, beschädigt und mit deutschem Geld wieder aufgebaut wurde.
Der Gouverneur des Gebiets, Witalij Kim, gab sich angesichts der schwierigen Lage seines Landes kämpferisch und betonte, sein Land brauche vor allem Waffen. "Es gibt keine Möglichkeit, die Ukraine zu besiegen. Es gibt die Möglichkeit, sie zu zerstören." Aufgeben sei keine Option. "Jeder wird müde, aber es ändert nichts."
Die konkreten Bitten der ukrainischen Regierung bezögen sich auf den militärischen und den Energiebereich, sagte Habeck. "Russland hat mit großer Gewalt noch mal Angriffe auf die Energieinfrastruktur des Landes unternommen und weil die Gewalt eben so brutal war, auch einige Wirkungstreffer erzielt." Deutschland liefere Generatoren und schaue, ob auch die Lieferung von Gasturbinen und Teilen von Kraftwerken möglich sei.
Im Juni soll es in Berlin eine Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine geben, bei der es laut Selenskyj vor allem um bilaterale Projekte in der Rüstungs- und Energiewirtschaft gehen soll. "Ich bin damit sehr einverstanden. Ich halte das für absolut sinnvoll", sagte Habeck dazu.
Auch die Rolle erneuerbarer Energien hätten seine ukrainischen Gesprächspartner adressiert, sagte Habeck. Sie könnten eine sicherheitsrelevante Aufgabe erfüllen. "Also ein großes Kraftwerk ist ein Ziel, aber 1000 Solardächer sind schwer zu treffen und 30 Windkraftanlagen sind eben auch schwer zu treffen." In der Gegend Mykolajiw gibt es viele Solaranlagen. Kim sagte, er hoffe auf diesem Gebiet auf eine Zusammenarbeit mit Deutschland.
Auf eine Frage nach der bislang ausgebliebenen weiteren US-Hilfe für die Ukraine sagte Habeck, Deutschland als stärkste Wirtschaftsmacht in Europa habe "eine neue Aufgabe". Er warb für eine Steigerung der Rüstungsproduktion. "Wir brauchen eine höhere Produktion. Das heißt, dann hätten wir auch mehr Güter, die wir abgeben können. Und wenn die Ukraine sie mal nicht mehr braucht, dann können wir sie selber gut gebrauchen." Am ersten Tag seiner Reise war Habeck unter anderem von Managern deutscher Rüstungsfirmen begleitet worden./hrz/DP/stw