München (ots) -
Recherche von ARD und New York Times
Großer Dopingverdachtsfall in China belastet WADA - wurden positive Tests vertuscht?
Ein unveröffentlichter Verdachtsfall von massenhaftem Doping unter chinesischen Spitzenschwimmern belastet die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) schwer. Aus einer gemeinsamen Recherche von ARD-Dopingredaktion und New York Times geht hervor, dass bei einem nationalen Wettkampf Anfang 2021 insgesamt 23 chinesische Athletinnen und Athleten positiv getestet wurden. Unter den Schwimmern waren spätere Olympiasieger von Tokio. Alle 23 wurden bei Kontrollen der chinesischen Anti-Doping-Agentur CHINADA positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestet.
Der einflussreichen Sportnation China gelang es daraufhin, mit großem Aufwand und unter staatlicher Einflussnahme einen mutmaßlichen Dopingskandal unmittelbar vor den Olympischen Spielen 2021 in Tokio abzuwenden. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA akzeptierte letztlich die abschließende Forderung aus einem unter Mithilfe von chinesischen Geheimdienststellen angefertigten Untersuchungsbericht, der ARD und New York Times vorliegt - und ließ den Fall ohne unabhängige Überprüfung auf sich beruhen. Wurden so positive Tests vertuscht?
Im Film "Geheimsache Doping: Die Akte China" stellen ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt und die Autoren Nick Butler und Lea Löffler eine Frage in den Mittelpunkt: Wie kann es sein, dass einer der größten Dopingverdachtsfälle der Sportgeschichte niemals öffentlich geworden ist? Die WADA, die nach Meinung von Sportrechtsexperten bei der Behandlung des Falls ihre eigenen Regularien verletzt hat, teilte auf ARD-Anfrage mit, sie habe auf Basis der Analysedaten "keine Grundlage" gesehen, die "...Erklärungen der Kontamination anzufechten".
Sie stützt dies unter anderem auf "niedrige Konzentrationen" und "schwankende Werte" in den Dopingproben. Die WADA sagt, sie habe sich an ihr Regelwerk gehalten. Die chinesische Anti-Doping-Agentur CHINADA erklärte, dass "keine Anti-Doping-Verstöße" vorgelegen hätten und somit kein Handlungsbedarf bestanden habe. Der Welt-Schwimm-Verband teilte mit, er sei "zur Verschwiegenheit verpflichtet". Die Vorgänge seien "sorgfältig und professionell" geprüft worden, daher habe man nichts weiter unternehmen müssen.
Travis Tygart, der Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA, kritisiert die WADA scharf. "Im WADA-Code ist nirgendwo von Massenkontamination die Rede und schon gar nicht davon, dass so was nicht verfolgt wird", sagte Tygart: "Wenn das wahr ist, riecht das nach Vertuschung auf der höchsten Ebene der Welt-Anti-Doping-Agentur."
David Howman, langjähriger WADA-Generaldirektor, fürchtet, dass der internationale Anti-Doping-Kampf durch die "Akte China" und vor allem durch das Vorgehen der WADA nachhaltig Schaden nehmen könnte. "Ich finde, die Öffentlichkeit hat das Recht, sich in solchen Fällen eine Meinung zu bilden. Sie ist die maßgebliche Instanz, die prüft, ob unser aller Handeln regelbasiert ist", sagte Howman der ARD: "Es braucht einfach Vertrauen. Aber wenn du das verlierst, geht es schnell abwärts mit der Reputation deiner Organisation. Wenn das so ist, wäre es eine Tragödie für die WADA."
Der renommierte Münchner Sportrechtler Thomas Summerer, der für den Film den Fall und alle Dokumente geprüft hat, geht von gleich mehreren Versäumnissen der Anti-Doping-Vertreter aus. "Es lag auf der Hand, dass ein Anti-Doping-Verstoß vorliegt, und so hätte man diesen auch behandeln müssen seitens der chinesischen Anti-Doping-Agentur. Man hätte sofort eine vorläufige Sperre verhängen und sämtliche Wettkampfergebnisse aberkennen müssen. Man hätte auch die Namen der Athleten und die Substanz, um die es geht, offenbaren müssen", sagte Summerer. "Die WADA als höchstes Kontrollgremium im Weltsport hätte intervenieren müssen, damit mehr Licht ins Dunkel kommt."
Die ARD-Dopingredaktion hat den chinesischen Untersuchungsbericht im September 2023 vertraulich zugespielt bekommen und dessen Authentizität gemeinsam mit der New York Times verifiziert. Demnach sind bei dem Wettkampf knapp zwei Jahre zuvor 23 Athletinnen und Athleten teilweise mehrfach positiv auf Trimetazidin getestet worden, darunter die spätere Doppel-Olympiasiegerin Zhang Yufei und Qin Haiyang, der Weltschwimmer des Jahres 2023.
In dem Bericht liefern die Chinesen folgende Erklärung: In einer Hotelküche sei für sämtliche betroffenen Athleten Essen gekocht worden. Mehr als zwei Monate später hätten Ermittler die Küche inspiziert und Spuren von Trimetazidin im Dunstabzug, an Gewürzcontainern sowie im Abfluss gefunden. Vom Gewürzcontainer sei das Mittel womöglich in eine Pfanne oder einen Kochtopf gelangt - und von dort in die Mahlzeiten der Athleten. So sei das Dopingmittel demnach ohne deren Wissen in ihre Körper gelangt.
Der forensische Toxikologe und Pharmakologe Fritz Sörgel hat im Auftrag der ARD-Dopingredaktion die Angaben aus dem chinesischen Bericht in einem Experiment überprüft - auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse hält er sie für unglaubwürdig.
"Es ist einfach extrem unwahrscheinlich, dass das in dieser Form stattgefunden haben soll", sagte Sörgel. "Die Geschichte ist sehr ähnlich zu dem, was wir seit Jahren beobachten: Überführte Doper versuchen Ausreden zu finden, wie Dopingmittel eigenartigerweise in ihre Körper gekommen sind."
Dennoch folgte die WADA der in dem Bericht formulierten Forderung der Chinesen, dass die Athletinnen und Athleten nicht zu belangen seien. Wie und durch wen das Herzmittel in den Suppentopf gelangt ist, blieb offen. Die Untersuchung wurde vom chinesischen Ministerium für Öffentliche Sicherheit durchgeführt, einer Behörde mit Geheimdienstbefugnissen.
Die chinesische Anti-Doping-Agentur CHINADA meldet die Fälle zwar offiziell im nicht-öffentlichen Meldesystem der WADA, informierte die oberste Anti-Doping-Behörde angeblich sogar in einem Brief - doch weder unmittelbar danach, noch nach Erhalt des chinesischen Untersuchungsberichts reagierte die WADA: Die Sportler wurden nicht wie in den Verfahrensrichtlinien bei so genannten Anti-Doping-Regelverstößen (ADRV) festgelegt, vorläufig suspendiert, die Fälle nicht publiziert und die betreffenden Wettkampfergebnisse nicht aberkannt.
Die ARD zeigt die Dokumentation "Geheimsache Doping: Die Akte China" am Sonntag, 21. April ab 23:05 Uhr im Ersten. Eine Langfassung des Stücks gibt es bereits in der Nacht zum Sonntag in der ARD Mediathek.
Pressekontakt:
ARD Sportkoordination, Swantje Lemenkühler,
Tel. 089/55 89 44 780, E-Mail: swantje.lemenkuehler@ard.de
Original-Content von: ARD Das Erste, übermittelt durch news aktuell
Originalmeldung: https://www.presseportal.de/pm/6694/5761936
Recherche von ARD und New York Times
Großer Dopingverdachtsfall in China belastet WADA - wurden positive Tests vertuscht?
Ein unveröffentlichter Verdachtsfall von massenhaftem Doping unter chinesischen Spitzenschwimmern belastet die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) schwer. Aus einer gemeinsamen Recherche von ARD-Dopingredaktion und New York Times geht hervor, dass bei einem nationalen Wettkampf Anfang 2021 insgesamt 23 chinesische Athletinnen und Athleten positiv getestet wurden. Unter den Schwimmern waren spätere Olympiasieger von Tokio. Alle 23 wurden bei Kontrollen der chinesischen Anti-Doping-Agentur CHINADA positiv auf das verbotene Herzmittel Trimetazidin getestet.
Der einflussreichen Sportnation China gelang es daraufhin, mit großem Aufwand und unter staatlicher Einflussnahme einen mutmaßlichen Dopingskandal unmittelbar vor den Olympischen Spielen 2021 in Tokio abzuwenden. Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA akzeptierte letztlich die abschließende Forderung aus einem unter Mithilfe von chinesischen Geheimdienststellen angefertigten Untersuchungsbericht, der ARD und New York Times vorliegt - und ließ den Fall ohne unabhängige Überprüfung auf sich beruhen. Wurden so positive Tests vertuscht?
Im Film "Geheimsache Doping: Die Akte China" stellen ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt und die Autoren Nick Butler und Lea Löffler eine Frage in den Mittelpunkt: Wie kann es sein, dass einer der größten Dopingverdachtsfälle der Sportgeschichte niemals öffentlich geworden ist? Die WADA, die nach Meinung von Sportrechtsexperten bei der Behandlung des Falls ihre eigenen Regularien verletzt hat, teilte auf ARD-Anfrage mit, sie habe auf Basis der Analysedaten "keine Grundlage" gesehen, die "...Erklärungen der Kontamination anzufechten".
Sie stützt dies unter anderem auf "niedrige Konzentrationen" und "schwankende Werte" in den Dopingproben. Die WADA sagt, sie habe sich an ihr Regelwerk gehalten. Die chinesische Anti-Doping-Agentur CHINADA erklärte, dass "keine Anti-Doping-Verstöße" vorgelegen hätten und somit kein Handlungsbedarf bestanden habe. Der Welt-Schwimm-Verband teilte mit, er sei "zur Verschwiegenheit verpflichtet". Die Vorgänge seien "sorgfältig und professionell" geprüft worden, daher habe man nichts weiter unternehmen müssen.
Travis Tygart, der Chef der US-Anti-Doping-Agentur USADA, kritisiert die WADA scharf. "Im WADA-Code ist nirgendwo von Massenkontamination die Rede und schon gar nicht davon, dass so was nicht verfolgt wird", sagte Tygart: "Wenn das wahr ist, riecht das nach Vertuschung auf der höchsten Ebene der Welt-Anti-Doping-Agentur."
David Howman, langjähriger WADA-Generaldirektor, fürchtet, dass der internationale Anti-Doping-Kampf durch die "Akte China" und vor allem durch das Vorgehen der WADA nachhaltig Schaden nehmen könnte. "Ich finde, die Öffentlichkeit hat das Recht, sich in solchen Fällen eine Meinung zu bilden. Sie ist die maßgebliche Instanz, die prüft, ob unser aller Handeln regelbasiert ist", sagte Howman der ARD: "Es braucht einfach Vertrauen. Aber wenn du das verlierst, geht es schnell abwärts mit der Reputation deiner Organisation. Wenn das so ist, wäre es eine Tragödie für die WADA."
Der renommierte Münchner Sportrechtler Thomas Summerer, der für den Film den Fall und alle Dokumente geprüft hat, geht von gleich mehreren Versäumnissen der Anti-Doping-Vertreter aus. "Es lag auf der Hand, dass ein Anti-Doping-Verstoß vorliegt, und so hätte man diesen auch behandeln müssen seitens der chinesischen Anti-Doping-Agentur. Man hätte sofort eine vorläufige Sperre verhängen und sämtliche Wettkampfergebnisse aberkennen müssen. Man hätte auch die Namen der Athleten und die Substanz, um die es geht, offenbaren müssen", sagte Summerer. "Die WADA als höchstes Kontrollgremium im Weltsport hätte intervenieren müssen, damit mehr Licht ins Dunkel kommt."
Die ARD-Dopingredaktion hat den chinesischen Untersuchungsbericht im September 2023 vertraulich zugespielt bekommen und dessen Authentizität gemeinsam mit der New York Times verifiziert. Demnach sind bei dem Wettkampf knapp zwei Jahre zuvor 23 Athletinnen und Athleten teilweise mehrfach positiv auf Trimetazidin getestet worden, darunter die spätere Doppel-Olympiasiegerin Zhang Yufei und Qin Haiyang, der Weltschwimmer des Jahres 2023.
In dem Bericht liefern die Chinesen folgende Erklärung: In einer Hotelküche sei für sämtliche betroffenen Athleten Essen gekocht worden. Mehr als zwei Monate später hätten Ermittler die Küche inspiziert und Spuren von Trimetazidin im Dunstabzug, an Gewürzcontainern sowie im Abfluss gefunden. Vom Gewürzcontainer sei das Mittel womöglich in eine Pfanne oder einen Kochtopf gelangt - und von dort in die Mahlzeiten der Athleten. So sei das Dopingmittel demnach ohne deren Wissen in ihre Körper gelangt.
Der forensische Toxikologe und Pharmakologe Fritz Sörgel hat im Auftrag der ARD-Dopingredaktion die Angaben aus dem chinesischen Bericht in einem Experiment überprüft - auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse hält er sie für unglaubwürdig.
"Es ist einfach extrem unwahrscheinlich, dass das in dieser Form stattgefunden haben soll", sagte Sörgel. "Die Geschichte ist sehr ähnlich zu dem, was wir seit Jahren beobachten: Überführte Doper versuchen Ausreden zu finden, wie Dopingmittel eigenartigerweise in ihre Körper gekommen sind."
Dennoch folgte die WADA der in dem Bericht formulierten Forderung der Chinesen, dass die Athletinnen und Athleten nicht zu belangen seien. Wie und durch wen das Herzmittel in den Suppentopf gelangt ist, blieb offen. Die Untersuchung wurde vom chinesischen Ministerium für Öffentliche Sicherheit durchgeführt, einer Behörde mit Geheimdienstbefugnissen.
Die chinesische Anti-Doping-Agentur CHINADA meldet die Fälle zwar offiziell im nicht-öffentlichen Meldesystem der WADA, informierte die oberste Anti-Doping-Behörde angeblich sogar in einem Brief - doch weder unmittelbar danach, noch nach Erhalt des chinesischen Untersuchungsberichts reagierte die WADA: Die Sportler wurden nicht wie in den Verfahrensrichtlinien bei so genannten Anti-Doping-Regelverstößen (ADRV) festgelegt, vorläufig suspendiert, die Fälle nicht publiziert und die betreffenden Wettkampfergebnisse nicht aberkannt.
Die ARD zeigt die Dokumentation "Geheimsache Doping: Die Akte China" am Sonntag, 21. April ab 23:05 Uhr im Ersten. Eine Langfassung des Stücks gibt es bereits in der Nacht zum Sonntag in der ARD Mediathek.
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Tel. 089/55 89 44 780, E-Mail: swantje.lemenkuehler@ard.de
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