(neu: Aussagen aus Telefonkonferenz zu Entschädigungen für Airlines und Wärmetauschern aus Russland)
ARLINGTON (dpa-AFX) - Die Krise um den Mittelstreckenjet 737 Max kommt Boeing teuer zu stehen. Allein im ersten Quartal verbrannte der Flugzeugbauer fast vier Milliarden US-Dollar an Barmitteln. Der US-Konzern musste nach einem Beinahe-Unglück und Produktionsmängeln die Auslieferungen seiner wichtigsten Flugzeugfamilie drosseln. Allein Entschädigungen an Airlines für ein mehrwöchiges Startverbot beim Modell 737-9 Max nach dem Zwischenfall schlugen mit 443 Millionen Dollar zu Buche.
Konzernchef Dave Calhoun sprach am Mittwoch von einer "kurzfristig" schwierigen Phase für das Unternehmen. Die geringeren Auslieferungszahlen könnten zwar für die Finanzen des Konzerns und seine Kunden schwierig sein. "Aber Sicherheit und Qualität müssen und werden über allem stehen."
Trotz des Verlusts und der hohen Mittelabflüsse lief es für Boeing zumindest finanziell nicht so schlimm wie befürchtet. Mit 3,9 Milliarden Dollar verschliss der Konzern im ersten Quartal eine halbe Milliarde weniger Barmittel als von Analysten erwartet - und nicht so viel wie von Finanzchef Brian West zuletzt in Aussicht gestellt. Der Verlust lag mit 355 Millionen Dollar sogar 16 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor und war nur rund halb so hoch wie von Experten geschätzt.
Boeing steckt schon seit den Abstürzen zweier 737-Max-Jets mit 346 Toten vor mehr als fünf Jahren in einer Dauerkrise. Ein mehr als 20-monatiges Startverbot für die Maschinen der Reihe und Probleme mit weiteren Modellen warfen den Hersteller seit März 2019 weit hinter seinen europäischen Rivalen Airbus zurück.
Als auf einem Flug von Alaska Airlines Anfang Januar 2024 schließlich ein Rumpfteil aus einer fast neuen 737-9 Max herausbrach, griff die US-Luftfahrtbehörde FAA durch. Zunächst durften Maschinen bis zu einer technischen Überprüfung nicht mehr starten. Zudem nimmt die Behörde die Produktions- und Kontrollprozesse unter die Lupe.
Vor allem darf Boeing die Produktion der gesamten 737-Reihe vorerst nicht mehr über 38 Maschinen pro Monat ausweiten. Die zuvor geplante Steigerung auf rund 50 Flugzeuge der 737 pro Monat ist damit vorläufig nicht möglich. Airlines wie die Billigflieger Southwest und Ryanair mussten deshalb ihre Flugpläne zusammenstreichen.
Damit fällt Boeing noch weiter hinter Airbus zurück: Der europäische Hersteller baute von seinen Mittelstreckenjets der A320neo-Familie zuletzt schon monatlich etwa 50 Exemplare. Und Airbus-Chef Guillaume Faury will die Produktion der Reihe bis zum Jahr 2026 auf das Rekordniveau von 75 Maschinen pro Monat ausweiten.
Boeing hingegen fuhr die Produktion der 737-Reihe im ersten Quartal noch stärker zurück als von Aufsicht gefordert. Über alle Modelle hinweg lieferte der Hersteller nur 83 Passagier- und Frachtjets aus - 36 Prozent weniger als ein Jahr zuvor.
Probleme gibt es auch beim geplanten Ausbau der Produktion des Langstrecken-Modell 787 Dreamliner - wegen Engpässen bei einigen Bauteilen. So bezog Boeing früher Wärmetauscher für das Modell aus Russland. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine sei der Auftrag an einen neuen Zulieferer vergeben worden, der seine Kapazität nicht schnell genug ausbaue, sagte Calhoun in einer Telefonkonferenz. Außerdem müssten einige Airlines länger auf Flugzeugsitze warten. Nun will Boeing erst zum Jahr 2026 die Produktion auf zehn 787 monatlich ausbauen - und bis Ende dieses Jahres zunächst einmal auf fünf Flugzeuge pro Monat kommen.
Der Umsatz der Verkehrsflugzeugsparte brach im vergangenen Quartal um 31 Prozent ein. Dass der Erlös konzernweit nur um acht Prozent auf knapp 16,6 Milliarden Dollar sank, verdankte Boeing Zuwächsen im Rüstungs-, Raumfahrt- und Service-Geschäft.
Boeing-Chef Calhoun warb am Mittwoch um Geduld: "Wir nehmen uns die nötige Zeit, um unsere Systeme zur Sicherung von Qualität und Sicherheit zu stärken." Im März hatte der Manager überraschend seinen Rückzug zum Jahresende angekündigt. Der bisherige Chef der Verkehrsflugzeugsparte, Stan Deal, gab seinen Posten sogar mit sofortiger Wirkung an Stephanie Pope ab, die erst Anfang Januar zur Chefin des konzernweiten Tagesgeschäfts aufgestiegen war./stw/DP/he