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BRATISLAVA (dpa-AFX) - Bei einem Attentat ist der slowakische Regierungschef Robert Fico angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Der 59-jährige linksnationale Politiker wurde nach der Bluttat in der Stadt Handlova am Mittwoch per Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen. Die Polizei teilte mit, der Angreifer sei festgenommen worden. Laut Augenzeugen schoss ein älterer Mann nach einer Kabinettssitzung mehrmals auf Fico, als dieser vor der Tür Anhänger begrüßen wollte. Das Motiv blieb zunächst unklar. Politiker in der ganzen Welt reagierten bestürzt, darunter US-Präsident Joe Biden und Kanzler Olaf Scholz.
Fico hatte erst vor wenigen Tagen der liberalen Opposition vorgeworfen, ein Klima der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht auszuschließen, dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer Gewalttat komme.
Der Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen Linkspartei Smer-SSD ist seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich die slowakische Gesellschaft wie kaum ein anderer. Gegner nennen ihn "prorussisch" und werfen ihm vor, die Slowakei auf einen ähnlichen Kurs wie Viktor Orbans Ungarn führen zu wollen.
Am Abend schwebte Fico noch in Lebensgefahr. Das Krankenhaus in der Regionalhauptstadt Banska Bystrica verhängte eine Informationssperre.
Augenzeugen berichteten im Nachrichtensender TA3, vor dem Kulturhaus in Handlova seien fünf Schüsse gefallen, als Fico ins Freie ging, um Hände zu schütteln. Ein Schuss habe ihn in die Brust getroffen. Das Lokalfernsehen RTV Prievidza veröffentlichte ein Video vom Tathergang: Zu sehen ist, wie sich ein Mann an den Zaun drängt und aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsidenten schießt, der daraufhin zusammenbricht. Ein anderes Video zeigt, wie Fico von Begleitern zu einer Dienstlimousine geschleppt wird, um ihn in Sicherheit zu bringen.
Ein Reporter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens RTVS, der den Täter nach der Festnahme aus der Nähe sehen konnte, schilderte ihn als älteren Mann. Er habe desorientiert gewirkt und Blut auf der Stirn gehabt. Das komme aber wohl daher, dass ihn die Polizisten überwältigten und auf den Boden drückten.
Der slowakische Innenminister Matus Sutaj Estok rief nach dem Attentat zur Mäßigung auf. Die Schüsse auf Fico seien ein "Attentat auf die Demokratie". Es sei nun die gemeinsame Aufgabe aller in der Slowakei, die Verbreitung politischen Hasses sofort zu beenden.
Auch Staatspräsidentin Zuzana Caputova sagte, es handele sich auch um einen Angriff auf die Demokratie. "Jegliche Gewalt ist inakzeptabel. Die hasserfüllte Rhetorik, derer wir in der Gesellschaft Zeuge geworden sind, führt zu hasserfüllten Aktionen. Bitte, lasst uns damit aufhören."
Die liberale Präsidentin hatte sich trotz großer Beliebtheit nicht um eine zweite Amtszeit beworben, weil sie nach eigenen Worten "nach Jahren politischer Krisen und mehreren Regierungswechseln nicht mehr die Kraft" habe. Das Klima zwischen Regierung und Opposition gilt als vergiftet.
US-Präsident Joe Biden sprach von einer "schrecklichen Gewalttat". "Unsere Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk", erklärte er. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte das Attentat auf Fico "unerträglich". "Ich wünsche ihm, dass er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt", sagte Scholz.
In Europa ist Fico wegen seiner oft überspitzten Formulierungen zur Ukraine- und Russland-Politik der EU umstritten. Im Wahlkampf für die Parlamentswahl im Herbst 2023, die er gewann, ließ er mit der Ankündigung aufhorchen, er wolle "keine Patrone" mehr an Waffen an die Ukraine liefern. Tatsächlich aber hat die Slowakei seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt - einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU - nicht aber zur Nato.
Die Sanktionen gegen Russland lehnt Fico entgegen irreführender Medienberichte nicht grundsätzlich ab. Er kritisiert aber, dass manche von ihnen der von russischem Gas, Öl und Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als Russland selbst. Stattdessen verlangt er Sanktionen, die Russland empfindlicher treffen./ct/DP/men