(aktualisierte Fassung)
BERLIN (dpa-AFX) - Die Bundesregierung muss ihr Klimaschutzprogramm nachschärfen. Das entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg am Donnerstag. Die bisher aufgelisteten Maßnahmen reichten nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen, urteilten die Richter und gaben damit zwei Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) statt (Aktenzeichen OVG 11 A 22/21 und OVG 11 A 31/22).
In seiner bisherigen Form erfülle das im vergangenen Oktober beschlossene Programm nicht vollständig die gesetzlichen Vorgaben, sagte die Vorsitzende Richterin Ariane Holle in ihrer Urteilsbegründung. Schon jetzt sei absehbar, dass von 2024 bis 2030 viele Sektoren die zulässigen Mengen an ausgestoßenen Treibhausgasen überschreiten - voraussichtlich mit Ausnahme der Landwirtschaft.
"Die Bundesregierung muss darauf achten, dass alle Maßnahmen des Klimaschutzprogramms prognostisch geeignet sind, die Klimaschutzziele zu erreichen und dabei die jährlichen Emissionsmengen einzuhalten", so Holle. Das müsse "methodisch einwandfrei" und gut begründet sein und dürfe nicht auf falschen Prognosen beruhen. Denn die im Klimaschutzgesetz festgelegten Klimaziele seien verbindlich.
Die Bundesregierung wollte sich auf Anfrage zunächst nicht äußern. Sie kann in Revision gehen und die Wirkung des Urteils damit aufschieben. Dann wäre das Bundesverwaltungsgericht am Zug.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch sagte der Deutschen Presse-Agentur zu dem Urteil: "Heute ist ein guter Tag für den Klimaschutz." Die Bundesregierung müsse nun rasch handeln und das Klimaschutzprogramm kurzfristig nachbessern. Eine wesentliche Forderung seines Vereins ist ein Tempolimit auf Autobahnen Tempo 100, auf anderen Straßen außerhalb von Ortschaften Tempo 80 und innerorts Tempo 30.
Die Umwelthilfe war zuletzt schon einmal juristisch gegen die Klimapolitik der Bundesregierung vorgegangen und hatte im November 2023 einen Sieg errungen. Damals hatte das OVG Berlin-Brandenburg geurteilt, dass die Regierung ein Klima-Sofortprogramm in den Sektoren Verkehr und Gebäude auflegen muss. Dagegen läuft die Revision beim Bundesverwaltungsgericht.
Basis für die am Donnerstag verhandelten DUH-Klagen waren wie damals die Vorgaben des Klimaschutzgesetzes für verschiedene Sektoren zur Minderung des Ausstoßes an Treibhausgasen für die Jahre 2024 bis 2030. Zudem ist im Gesetz das Ziel verankert, diese Emissionen in ihrer Gesamtheit bis 2030 um mindestens 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Im Vorjahr waren rund 46 Prozent Minderung erreicht.
Das Klimaschutzprogramm gilt als eine Art Gesamtplan der Bundesregierung, um diese Ziele zu erreichen. Es listet zahlreiche Maßnahmen in den Sektoren Verkehr, Energie, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft auf.
Dazu gehören konkrete, teils schon umgesetzte Maßnahmen wie die Neufassung des Gebäudeenergiegesetzes, das 49-Euro-Deutschland-Ticket oder die CO2-abhängige Lkw-Maut. Es finden sich aber auch allgemeinere Vorhaben, etwa die Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) oder eine beschleunigte Ausweisung von Flächen für den Ausbau erneuerbarer Energien.
In der gut fünfstündigen mündlichen Verhandlung am OVG erklärte ein Anwalt der DUH, vieles auf der Liste sei zu unkonkret, zu wolkig und zu vage formuliert. Es sei nicht klar, welche konkreten Auswirkungen dies auf die Reduktion der klimaschädlichen Treibhausgase habe.
Prozessvertreter der Bundesregierung argumentierten dagegen, es handele sich beim Klimaschutzprogramm eher um ein politisches Programm als um einen konkreten Plan, er sprach von einer "höheren Abstraktionsebene". Gesetzgeber und Verwaltung untersetzten das Programm aber an vielen Stellen mit konkreten Maßnahmen.
Ursprünglich hatten neben der DUH als Verein auch drei Menschen geklagt. Diese zogen ihre Klagen jedoch nach der mündlichen Verhandlung zurück. Grund: Die Richter hatten Zweifel daran geäußert, dass die Betreffenden in dem Fall zur Klage berechtigt sind.
Das aktuelle Klimaschutzgesetz schreibt für jeden Sektor jährliche Ziele zur Senkung der schädlichen Treibhausgase vor. Werden diese in einzelnen Sektoren in einem Jahr verfehlt, was zuletzt beim Verkehr und dem Gebäudesektor der Fall war, muss laut Paragraf 8 des Gesetzes das jeweils zuständige Ministerium mit einem Sofortprogramm gegensteuern.
Diese Systematik dürfte sich allerdings bald ändern. Ende April beschloss der Bundestag eine umstrittene Reform des Klimaschutzgesetzes, vor allem auf Betreiben der FDP in der Ampel-Koalition. Die Einhaltung der Klimaziele soll demnach nicht mehr rückwirkend nach Sektoren kontrolliert werden, sondern in die Zukunft gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. An den Klimazielen selbst ändert sich aber nichts.
Entscheidend ist, dass Klimaziele insgesamt erreicht werden. Wenn sich in zwei aufeinander folgenden Jahren abzeichnet, dass die Regierung bei ihrem Klimaziel für das Jahr 2030 nicht auf Kurs ist, muss sie nachsteuern. Das Gesetz ist noch nicht in Kraft, am Freitag berät der Bundesrat darüber./kr/DP/he