DUISBURG/ESSEN (dpa-AFX) - Nach dem beschlossenen Verkauf eines Anteils an der Thyssenkrupp-Stahlsparte macht die IG Metall dem Management der Muttergesellschaft weiterhin schwere Vorwürfe. "Der Konzernvorstand will sich auf Kosten der Belegschaft und der Öffentlichkeit vom Stahlgeschäft verabschieden und sich aus der Verantwortung stehlen", hieß es in einem Mittwoch veröffentlichten Flugblatt der Gewerkschaft.
Der Thyssenkrupp-Aufsichtsrat hatte vergangene Woche gegen die Stimmen der Arbeitnehmervertreter dem Anteilsverkauf an das Energieunternehmen EPCG des tschechischen Milliardärs Daniel Kretinsky zugestimmt. Die Stahlsparte des Industriekonzerns ist Deutschlands größtes Stahlunternehmen mit 27 000 Beschäftigten.
Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BGAV) zwischen AG und der Thyssenkrupp Steel Europe stehe durch den Kretinsky-Deal vor dem Aus, so die IG Metall. "Das heißt im Klartext: Die AG löst sich damit von der Stahlsparte. Thyssenkrupp Steel wird verselbstständigt."
Die Gewerkschaft rechnet bei der schon seit Längerem geplanten Verselbstständigung der Sparte mit Kosten in Höhe von vier Milliarden Euro. "Allein die Kosten für den Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bei einer Restrukturierung der Thyssenkrupp Steel Europe belaufen sich auf mindestens eine Milliarde Euro", so die IG Metall.
Hinzu kämen weitere Aufwände für eine finanzielle Ausstattung der Stahlsparte, die sie auf Augenhöhe mit dem Wettbewerb bringe. Dies koste weitere drei Milliarden Euro. Die insgesamt vier Milliarden Euro könne nur die AG bezahlen. "Schließlich hat sie den Karren auch in den Sand gesetzt."
Die Konzernholding betonte in einer Mitteilung vom Mittwoch, dass die angestrebte 20-Prozent-Beteiligung von EPCG am Stahlgeschäft keine Auswirkungen auf die Finanzlage der Stahlsparte habe. Zielsetzung bleibe, dass sich das Stahlsegment, das seit Jahren Verluste schreibe, aus eigener operativer Kraft finanziere und die Kapitalmarktfähigkeit weiter verbessere. "Die Neuausrichtung von Thyssenkrupp Steel und der vom Stahlvorstand derzeit zu erarbeitende Businessplan liefert dafür die wirtschaftliche Grundlage", hieß es. Mit dem Plan reagiere der Stahlvorstand auf die schwache Konjunktur, vor allem aber auf fundamentale strukturelle Veränderungen auf dem europäischen Stahlmarkt.
"Betriebsbedingte Kündigungen hat es beim Stahl noch nie gegeben. Es ist unser erklärtes Ziel, das auch weiterhin zu vermeiden", erklärte ein Thyssenkrupp-Sprecher. Selbstverständlich halte Thyssenkrupp sich auch an alle bestehenden Tarifverträge. "Allerdings kann nur ein erfolgreiches und profitables Unternehmen langfristig sichere und zukunftsfähige Arbeitsplätze bieten."
Laut Thyssenkrupp endet der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BGAV) zwischen der AG und dem Stahlsegment kraft Gesetzes automatisch, wenn ein neuer Gesellschafter eintritt. Das geschehe mit dem Vollzug der Transaktion. "Auch nach vollzogener Beteiligung wird das Stahlgeschäft vorerst weiter seitens Thyssenkrupp finanziert", betonte der Sprecher. Für den Fall eines 50/50-Joint Venture werde eine eigenständige Finanzierung mit unterstützenden Beiträgen beider Partner angestrebt. Eine solche eigenständige Finanzierung würde auf Basis des neuen Businessplans von den Gesellschaftern festgelegt.
Die IG Metall wirft dem Management der AG in Bezug auf die Stahlsparte unter anderem Konzeptlosigkeit vor. "Für mich sieht es danach aus, als sei es das Ziel, den Konzern zu zerschlagen und möglichst viel für die Anteilseigner zu sichern", zitiert das Flugblatt den Zweiten Vorsitzende der IG Metall, Jürgen Kerner, der auch im Aufsichtsrat der AG sitzt./tob/DP/stw