06.06.2024 -
Dass die Europäische Zentralbank die Leitzinsen um 25 Basispunkte senken würde, darauf hatte sie den Markt in den vergangenen Wochen entsprechend vorbereitet und heute nun Fakten geschaffen. In der anschließenden Pressekonferenz hat Christine Lagarde allerdings auf die Kommunikation eines klar definierten Kurses verzichtet und somit auch keine Hinweise auf eine nächste Zinssenkung gegeben. Die Notenbank ist sich unsicher, wie restriktiv ihre Geldpolitik wirklich ist und ob der neutrale Zins möglicherweise deutlich höher als vor der Corona-Pandemie liegen könnte. Die Diskussion um den neutralen Gleichgewichtszins hat damit nun auch die EZB voll erfasst. Der überraschende Anstieg der Kerninflationsrate im Mai auf 2,9 Prozent dürfte diese Verunsicherung nicht nur weiter geschürt haben, sondern auch für die Anhebung der EZB-Inflationsprognose für 2024 und 2025 mitverantwortlich gewesen sein.Leitzinsen in einem Jahr 100 Basispunkte tiefer Aus unserer Sicht bleibt es allerdings dabei, dass die Argumente für einen deutlich höheren neutralen Zins in Europa wenig überzeugend sind. Im Gegensatz zu den USA sprechen hier weder die Demographie noch ein stärkeres Produktivitätswachstum für diese These. Auch die Investitionsoffensive zum klimaneutralen Umbau der Wirtschaft der EZB kann als Argument dafür nur wenig herhalten, da den potenziell höheren staatlichen Investitionen ein weiterer Rückgang privater Investitionen und damit eine sich fortsetzende Zersetzung des Produktionspotenzial entgegenstehen. Somit besteht in dem heute gestarteten Zyklus ein hohes Potenzial für weitere Zinssenkungen, während die Markterwartungen in diesem Punkt zu vorsichtig sind. In einem Jahr sollten die Leitzinsen in der Eurozone mindestens 100 Basispunkte tiefer liegen als heute.Europäische Aktien bleiben attraktiv Für die laufende Rally am Aktienmarkt sind dies alles gute Argumente. Der Rückenwind von der Zinsseite sichert die ohnehin nicht hohen Bewertungen ab und die Aktien profitieren von robusten Unternehmensgewinnen aufgrund eines hohen nominalen Wirtschaftswachstums. Zudem stützen die jüngst wieder gefallenen Energiepreise. Europas Börsen befinden sich in einem taktischen 'Sweet-Spot' und sollten Investoren auch in den nächsten Wochen eine attraktive Rendite bieten. Für den Deutschen Aktienindex spricht derzeit allerdings weniger die intakte Wachstumsstory der deutschen Wirtschaft, sondern stattdessen seine internationale Ausrichtung.