POTSDAM (dpa-AFX) - Die Innenminister der Länder dringen auf Abschiebungen von Schwerkriminellen und islamistischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien und lösen damit eine kontroverse Debatte aus. Kritik kommt von Flüchtlingsorganisationen. Auch die Linke hält Abschiebungen nach Afghanistan, wo die islamistischen Taliban herrschen, nicht mit dem Grundgesetz und Völkerrecht vereinbar. Dort drohten Menschenrechtsverletzungen, hieß es.
Seit Mittwoch diskutiert in Potsdam die Innenministerkonferenz (IMK) über die Asyl- und Migrationspolitik - auch als eine Folge des tödlichen Messerangriffs auf einen Polizisten in Mannheim. "Wir müssen unseren Rechtsstaat vor extremistischen Bedrohungen jedweder Couleur schützen", sagte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU), der den Konferenzvorsitz innehat.
Auch Streit um Zahlung von Bürgergeld an Ukrainer
Streit löste auch die Forderung mehrerer Innenminister aus, die Zahlung von Bürgergeld an Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zu beenden. Stattdessen wollen sie erreichen, dass nur niedrigere Zahlungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz fließen. Brandenburgs Minister Stübgen argumentierte, das Bürgergeld sei zum "Bremsschuh für die Arbeitsaufnahme" geworden. Rückendeckung bekam er aus Baden-Württemberg. Aus der FDP-Bundestagsfraktion wurden ähnliche Forderungen geäußert. Die Bundesregierung weist das allerdings zurück. Auch der Deutsche Städtetag lehnte den Vorstoß am Mittwoch ab.
Faeser will Länderkollegen bei IMK informieren
Am Donnerstag will Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihre Länderkollegen über ihre Bemühungen für Abschiebungen nach Afghanistan unterrichten. "Wir verhandeln vertraulich mit verschiedenen Staaten, um Wege zu eröffnen, über die Abschiebungen nach Afghanistan wieder möglich werden", bekräftigte Faeser im Gespräch mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Ziel sei es, Gewalttäter konsequent abzuschieben, wenn sie nach einer Haftstrafe in Deutschland wieder freikämen. "Und wir wollen islamistische Gefährder konsequent ausweisen und abschieben."
Hamburger SPD-Innensenator wirbt für Abschiebungen nach Afghanistan
Der Sprecher der SPD-Innenressortchefs, Hamburgs Senator Andy Grote, sagte zum Auftakt der Ministerkonferenz am Mittwochabend in Potsdam, er sei sehr zuversichtlich, dass über eine Vereinbarung mit Nachbarländern ein funktionierender Reiseweg geschaffen werde, der Rückführungen gewährleiste. "Der Flughafen in Kabul funktioniert, der Reiseverkehr über die Landgrenzen funktioniert." Hamburg hat einen entsprechenden Antrag zu Abschiebungen in die Ministerkonferenz eingebracht.
"Wer hier schwere Straftaten begeht, muss das Land verlassen, auch wenn er beispielsweise aus Afghanistan kommt", sagte Grote. Er gehe davon aus, dass das auch funktionieren werde, und es werde jetzt sehr entschlossen und sehr zügig daran gearbeitet. Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sagte: "Es muss rechtsstaatlich sicher sein, Gerichte dürfen uns nicht stoppen."
Für seinen Konferenz-Antrag, Straftäter und Gefährder nach Afghanistan und Syrien abzuschieben, rechnet Grote mit breiter Unterstützung seiner Länderkollegen. "Ich glaube, dass wir inzwischen eine große Einigkeit bei dem Thema haben." Aus Grotes Sicht wiegt das Sicherheitsinteresse Deutschlands schwerer als das Schutzinteresse des Straftäters. In Hamburg geht es laut Grote um 18 Fälle von afghanischen Straftätern, die vollziehbar ausreisepflichtig seien.
Kritik kommt von Hilfsorganisationen. Sie wollen an diesem Donnerstag in Potsdam gegen Abschiebungen nach Afghanistan protestieren.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte in Potsdam, die Bundesregierung müsse aktiver sein und rasch die Voraussetzungen für die Abschiebungen schaffen. Auch Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) meinte: "Es muss gemacht werden, aber nicht nur geredet werden." Er halte aber weniger die Abschiebungen für das zentrale Problem, vielmehr müsse ein zu hoher Zugang von Migranten stärker begrenzt werden.
Linke hält Afghanistan-Abschiebungen für falsch
Dagegen kritisierte die Linke im Bundestag am Mittwoch: "Abschiebungen ins Taliban-Regime bedeuten Steinigung und Auspeitschung. Auch für Täter gelten die Menschenrechte, denn sie sind universell."
Zuletzt hatten mehrere Gewalttaten von Afghanen Aufsehen erregt. Am vergangenen Freitagabend erschossen Polizisten in Wolmirstedt bei Magdeburg einen Afghanen, der einen Landsmann erstochen und dann auf einer EM-Gartenparty mehrere Menschen verletzt haben soll. In Mannheim tötete am 31. Mai ein Afghane einen Polizisten mit einem Messer und verletzte fünf Mitglieder der islamkritischen Bewegung Pax Europa.
Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) fordert auch einen umgehenden Stopp des Bundesaufnahmeprogramms für gefährdete Menschen aus Afghanistan. Mehrere Länder verlangen als Folge der Messerangriffe eine Verschärfung des Waffenrechts und eine Ausweitung von Waffenverbotszonen. Auch Faeser will das Waffenrecht erneut reformieren. Einige ihrer Vorschläge stoßen jedoch auf Widerstand des Koalitionspartners FDP.
Seit der Machtübernahme durch die radikal-islamistischen Taliban in Kabul im August 2021 schiebt Deutschland niemanden mehr nach Afghanistan ab. Grundlage für die Entscheidung der Ausländerbehörden, die sich mit Unterstützung der Bundespolizei um die Abschiebungen kümmern, ist der jeweils aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amts zur Situation im Herkunftsland./abc/DP/ngu