13.06.2024 -
Europa steht vor großen strukturellen Herausforderungen, die seine Produktivität im Vergleich zu den USA beeinträchtigen. Wichtige Faktoren sind hierbei Marktfragmentierung und -regulierung, ein hoher Anteil kleiner Unternehmen, hohe Steuern und geringere Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Seit der globalen Finanzkrise haben sich diese Nachteile jedoch nicht verschärft, sondern in vielen Bereichen sogar verringert.
Kleine Unternehmen machen in Europa einen bedeutenden Teil des Unternehmenssektors aus, insbesondere im Vergleich zu den USA. In den USA liegt der Anteil der Unternehmen mit 250 oder mehr Beschäftigten bei 59 %, in Deutschland bei 43 % und in Frankreich bei 48 %. Kleine Unternehmen setzen ihre Ressourcen oft weniger effizient ein als größere Unternehmen und führen neue Technologien langsamer ein.
Investoren stellen sich daher zu Recht die Frage: Wird die KI-Revolution auch kleinen Unternehmen mehr Wertschöpfung ermöglichen? Unserer Ansicht nach werden gerade auch kleine Unternehmen von Schumpeters schöpferischer Zerstörung profitieren, da der Fortschritt letztlich alle Teile der Wirtschaft erfassen sollte.
Als nächstes stellt sich die Frage nach dem "Wann"? Wir halten die Zeit reif für eine Neuausrichtung auf eine breiter gefasste Wertschöpfung. Erste Anzeichen dafür sehen wir im aktuellen positiven Trend beim Gewinn je Aktie. Doch erlauben Sie uns zunächst einen kleinen theoretischen Exkurs.
Fama und French sowie andere Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass Small-Cap-Aktien langfristig besser abschneiden sollten als Large-Cap-Aktien. Dementsprechend waren Investoren in der Vergangenheit bereit, eine entsprechende Prämie für Small- und Mid-Caps zu zahlen, da sie im Vergleich zu Large Caps ein höheres Wachstumspotenzial erwarteten.
In makroökonomisch unsichereren Zeiten, wie sie aktuell herrschen, geben Anleger jedoch eher der relativen Sicherheit von Large Caps den Vorzug. Nebenwerte sind oft mit Bilanzrisiken behaftet, weisen eine hohe sektorale oder geografische Konzentration auf und sind aufgrund ihrer geringeren Größe möglicherweise nicht in der Lage, größere wirtschaftliche Schocks abzufedern.
Dies ist ein wesentlicher Grund, warum europäische Small- und Mid-Cap-Aktien (also Titel mit einer Marktkapitalisierung zwischen 200 Mio. EUR und 10 Mrd. EUR) in den letzten Jahren schlechter abgeschnitten haben als entsprechende Standartwerte. Per Ende Mai 2024 lagen Small Caps in allen wichtigen Anlageregionen hinter Large Caps zurück. In Europa betrug die Underperformance 300 Basispunkte, in Japan und in den USA jeweils 750 Basispunkte. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass Small und Mid Caps ein höheres langfristiges Gewinnwachstum zusammen mit einem Bewertungsabschlag bieten und sich in der zweiten Jahreshälfte 2024 besser entwickeln dürften, insbesondere in Europa.
Small und Mid Caps - eine Anlage für die Langstrecke
Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass Small und Mid Caps langfristig besser abgeschnitten haben als Large Caps. So haben Small und Mid Caps in den letzten 20 Jahren Large Caps um 130% übertroffen. Dieser langfristige Vorsprung lässt sich auf eine Reihe von Faktoren zurückführen. Erstens weisen sie tendenziell ein höheres Wachstum auf. Ausschlaggebend hierfür sind eine kleinere Ausgangbasis und ein disruptives Geschäftsmodell, das eine schnelle Expansion ermöglicht. Zweitens sind sie in geringerem Maße in defensiven und wachstumsschwachen Sektoren wie Basiskonsumgüter, Energie und Versorgern aktiv. Drittens werden sie von Finanzanalysten weniger intensiv beobachtet. Die sich hieraus ergebenden größeren Preisanomalien eröffnen Anlegern interessante Chancen. Viertens galten sie in der Vergangenheit als geeignete Ziele von Übernahmen, für die Käufer hohe Prämien zahlten.
Einstieg in Zinssenkungszyklus stützt Small und Mid Caps, insbesondere in Europa
Anfang 2022 leitete die EZB den schnellsten und umfangreichsten Zinserhöhungszyklus in der Geschichte Europas ein. Er war einer der Hauptgründe für die Underperformance von Small und Mid Caps, die als anfälliger für eine geldpolitische Straffung gelten, da sie ihr Wachstum in der Regel stärker fremdfinanzieren als Large Caps. Mit der nun einsetzenden geldpolitischen Lockerung seitens der EZB werden die Auswirkungen der letzten zwei Jahre zurückgedreht. Das dürfte kleinen und mittelgroßen Unternehmen zugutekommen. Noch positiver dürften sich Zinssenkungen inden USA auswirken, wo mehr als 40% der Schulden kurzfristig oder variabel verzinst sind.
Small und Mid Caps profitieren von anziehenden Konjunkturdaten
Angesichts positiver Überraschungen bei den "weichen" makroökonomischer Daten und einer im Vergleich zu den USA stärkeren Binnenkonjunktur in Europa dürften europäische Small und Mid Caps profitieren. Ein wichtiger Frühindikator sind die Einkaufsmanagerindizes (PMI), die auf einer monatlichen Umfrage unter Unternehmen des verarbeitenden Sektors basieren. Sie weisen eine hohe Korrelation mit der Performance von Small und Mid Caps auf, die sich in den letzten Jahren noch verstärkt hat. Eine Verbesserung dieser Indizes, wie wir sie in letzter Zeit beobachten konnten, ist ein weiteres Signal für steigende Kurse bei Small und Mid Caps. Dass die Kurse europäischer Small Caps den Aufwärtstrend der Einkaufsmanagerindizes noch nicht widerspiegeln, lässt eine noch stärkere Erholung erwarten.
Small- und Mid-Caps haben deutlich abgewertet - relative Bewertung fast auf 20-Jahres-Tief
Der Bewertungsabschlag von Small- und Mid-Caps gegenüber Large-Caps hat ein Ausmaß erreicht, dass eine Rückkehr zum Mittelwert unausweichlich erscheint, insbesondere in Europa. Aktuell liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis europäischer Small und Mid Caps bei 12,5. Das entspricht einem Abschlag von etwa 5% gegenüber Large Caps. Auf Sicht der letzten 17 Jahre weist der Stoxx Mid 200 eine Prämie von 12% gegenüber dem Stoxx Large 200 auf. Derzeit jedoch wird er mit einem Abschlag von 4% gehandelt. Beim Stoxx Small 200 zeigt die langfristige Betrachtung einen Aufschlag von 17%. Dem steht ein aktueller Abschlag von 6% gegenüber. Eine Korrektur dieser deutlichen Unterbewertung erscheint überfällig. Dementsprechend gehen wir davon aus, dass Small und Mid Caps künftig wieder mit einer Prämie gegenüber Large Caps gehandelt werden, was ein zweistelliges Outperformance-Potenzial bedeuten würde.
Performance von Small and Mid Caps bleibt hinter starker Gewinndynamik zurück
Ein wichtiges Signal für einen Wiedereinstieg in das Small- und Mid-Cap-Segment sind die Revisionen des Gewinnwachstums. In Europa wie auch in den USA gibt es diesbezüglich Grund zum Optimismus, da die Gewinnschätzungen deutlich stärker nach oben revidiert werden als bei Large Caps. In Europa etwa wird für 2024 für Small Caps ein Gewinnwachstum von +8% und für Mid Caps von +13% prognostiziert. Bei Large Caps gehen die Schätzungen von weniger als +3% aus. Alles deutet darauf hin, dass die lange Durststrecke für Small und Mid Caps vorbei ist.
Fazit: Strategisch eher auf Mid Caps denn auf Small Caps, taktisch eher auf Europa denn auf USA setzen - selektiver Ansatz entscheidend
Es ist an der Zeit, sich wieder im Small- und Mid Cap-Segment zu positionieren. Meine Präferenz gilt hier aber eher Mid Caps. Diese bieten eine bessere Gewinnwachstumsdynamik bei vergleichbaren Bewertungsabschlägen. Auch die Bilanzen präsentieren sich solider. So liegt das Verhältnis von Nettoverschuldung zu EBITDA um 10-15% niedriger als bei Small Caps. Und sollte die EZB klar signalisieren, dass dies der Beginn eines Lockerungszyklus ist, bleibt die Liquidität für Mid Caps besser.
In regionaler Sicht geben wir taktisch Europa den Vorzug gegenüber den USA, da wir 1. was weitere Zinssenkungen betrifft, im Hinblick auf die EZB zuversichtlicher gestimmt sind, da die FED ihre Zinsen wahrscheinlich nicht vor September senken wird, 2. in Europa mehr Konjunkturüberraschungen erwarten, 3. die Bewertungen sowohl absolut als auch relativ gesehen als attraktiver betrachten und 4. mit einer besseren Dynamik bei den Gewinnrevisionen rechnen.
Im Hinblick auf Sektoren sollte man beim Wiedereinstieg in die Anlageklasse der Small und Mid Caps selektiv vorgehen. Wir bevorzugen Sektoren, die von einer Konjunkturerholung und sinkenden Zinsen profitieren werden. Dazu gehören Titel aus den Bereichen Industrie, Gesundheit, Technologie, zyklische Konsumgüter und Grundstoffe. Untergewichtet sind wir hingegen im stark verschuldeten Immobiliensektor, in Banktiteln (die von den hohen Zinsen profitiert haben) und eher defensiven Sparten. Innerhalb der von uns bevorzugten Sektoren präferieren wir Unternehmen mit geringem Refinanzierungsrisiko und steigenden Gewinnen, die von einem sich aufhellenden makroökonomischen Umfeld profitieren dürften. Wir schätzen auch disruptive, schnell skalierbare Geschäftsmodelle. Auch sollten die Unternehmen in der Lage sein, ihr Wachstum selbst zu finanzieren und in jedem wirtschaftlichen Umfeld profitabel zu bleiben. Im Rahmen dieser Leitplanken ist es ein guter Zeitpunkt, um wieder in Small und Mid Caps zu investieren.
Und schließlich die wesentliche Frage: Sind wir auch nach der Auflösung des französischen Parlaments von unserem Timing überzeugt?
Zweifellos ist die Ungewissheit im Zusammenhang mit den Neuwahlen in Frankreich kein gutes Omen für französische Titel, auch wenn sie nicht den gesamten europäischen Markt betrifft. Wir wissen nicht, wie die Wahlen ausgehen werden. Es ist aber wahrscheinlich, dass der Handlungsspielraum des künftigen Premierministers begrenzt sein wird. Die Investoren haben zuletzt deutlich gemacht, dass sie ausufernde Defizite nicht tolerieren werden. Selbst die EZB hat erklärt, dass es derzeit keinen Grund zur Panik oder zum Eingreifen gibt.
Wir sind langfristig orientierte Investoren, keine kurzfristig agierenden Trader. Wir haben auf einen möglichst "perfekten" Einstiegszeitpunkt gewartet. Den kann es per Definition nicht geben, aber in der Summe waren die Signale deutlich. Wir stehen für überzeugungs-orientiertes aktives Fondsmanagement und bleiben insgesamt bei unserer Einschätzung, allerdings mit einer wichtigen Einschränkung: Investments in europäische Small und Mid Caps sind sinnvoll, mit der Ausnahme von Frankreich. Wenn wir in diesem Zusammenhang von Frankreich sprechen, geht es nicht nur um die in französischen Indizes vertretenen Titel, sondern auch um den Anteil der Umsätze, die diese in Frankreich erzielen. Sollten sich nach den Wahlen Chancen eröffnen, ist noch genügend Zeit, diese zu nutzen.
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