BRÜSSEL (dpa-AFX) - Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben sich in Brüssel getroffen, um die Nominierung der künftigen EU-Spitzenjobs zu beschließen. Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte davor eine faire Debatte an. Zwar gebe es bereits eine politische Verständigung von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen. Das sei aber "nur eine Position" sagte der SPD-Politiker. "Wir werden das hier sorgfältig, fair miteinander diskutieren."
Dank einer Einigung der großen europäischen Parteienfamilien Mitte der Woche gilt es bereits als nahezu sicher, dass EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen bei dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag grünes Licht für eine zweite Amtszeit erhalten wird.
Dies gilt als einer der wichtigsten Posten in der EU: Die EU-Exekutive schlägt Gesetze vor und wacht über die Einhaltung des gemeinsamen Rechts.
Außerdem sollen auch der EU-Außenbeauftragte sowie der EU-Ratspräsident nominiert werden. Die liberale Estin Kaja Kallas ist für den Posten der EU-Außenbeauftragten vorgesehen, der frühere portugiesische Regierungschef António Costa als EU-Ratspräsident.
Keine Einigung bei vorherigem informellem Gipfel
Grundlage der informellen Einigung auf dieses Personalpaket ist das Ergebnis der Europawahl vor etwas mehr als zwei Wochen. Das Mitte-Rechts-Bündnis EVP mit von der Leyen als Spitzenkandidatin erzielte das mit Abstand beste Ergebnis. Sie will nun mit der zweitplatzierten Parteienfamilie, den Sozialdemokraten (S&D), und den Liberalen (Renew) eine informelle Koalition bilden.
Ursprünglich wollten sich die EU-Staats- und Regierungschefs bereits bei einem informellen Gipfel vor rund zehn Tagen endgültig auf das Personalpaket verständigen. Doch die Rechnung ging nicht auf. Unter anderem zeigte sich die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni erbost darüber, dass sie trotz des guten Ergebnisses ihrer Partei Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) bei der Europawahl nicht direkt an den Gesprächen über das Personalpaket beteiligt wurde.
Gegenwind aus Ungarn
Am Rande des Gipfels erklärten etliche Regierungschefs, dass es nicht darum gehe, Meloni ausgrenzen zu wollen. Der polnische Regierungschef Donald Tusk sagte etwa: "Es gibt kein Europa ohne Italien, und es gibt keine Entscheidung ohne Ministerpräsidentin Meloni. Das ist für mich ganz klar."
Eine deutliche Gegenstimme kam erwartbar aus Budapest. Ungarns Regierungschef Viktor Orban bekräftigte am Donnerstag in Brüssel, das geplante Personalpaket für die Besetzung der EU-Spitzenposten nicht unterstützen zu wollen. Die Koalition der drei großen europäischen Parteienfamilien schaue weder auf die schlechte Performance der vergangenen fünf Jahre noch auf das Programm für die kommende Legislaturperiode, sagte er. "Es geht nur um Machtteilung", so Orban.
Für die Entscheidung über die Besetzung der Spitzenposten im Gremium der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten ist keine Einstimmigkeit notwendig. Es müssen mindestens 20 EU-Staaten zustimmen, die gleichzeitig mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten.
Das EU-Parlament kann den Staats- und Regierungschefs aber theoretisch noch einen Strich durch die Rechnung machen: Eine Mehrheit des Parlaments muss die Besetzung der Kommission bestätigen.
Unterstützung für die Ukraine
Außerdem unterzeichneten die bisherige EU-Kommissionschefin von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel sowie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine Vereinbarung zur Sicherheitskooperation und langfristigen Unterstützung der Ukraine.
Teil der Sicherheitszusagen ist etwa ein neuer Krisenmechanismus. Sollte Russland bei der aktuellen Invasion Atomwaffen einsetzen oder nach dem Ende des derzeitigen Krieges erneut angreifen, soll es auf Ersuchen einer der beiden Seiten innerhalb von 24 Stunden Konsultationen geben.
Neben der Verteilung der Spitzenposten geht es auf dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag auch um die Strategische Agenda. Dabei sollen die Weichen für die nächsten fünf Jahre gestellt werden./svv/DP/jha