LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Bayer macht beim Unternehmensumbau Tempo. Mehr als 3.000 Stellen sind seit Jahresbeginn weggefallen. Im Tagesgeschäft gibt es Licht und Schatten. Im zweiten Quartal bekam der Dax -Konzern abermals ein teils schwieriges Agrargeschäft zu spüren. In der Pharmasparte lieferten neue Medikamente Rückenwind und glichen so niedrigere Erlöse mit dem Kassenschlager Xarelto aus. Der Vorstandsvorsitzende Bill Anderson blickt für 2024 nun etwas vorsichtiger auf das Agrargeschäft und leicht zuversichtlicher auf die Pharmasparte. Die Konzernjahresziele bestätigt er am Dienstag. Analysten überzeugten die Quartalszahlen gleichwohl nur bedingt. Der Bayer-Aktienkurs geriet unter Druck.
Der Blutgerinnungshemmer Xarelto bleibt für das Unternehmen zwar der größte Umsatzbringer in der Pharmasparte, seine Erlöse fielen im zweiten Quartal wegen wachsenden Konkurrenzdrucks durch Generika allerdings unter die Marke von einer Milliarde Euro. Ein erneut starkes Wachstum von Nubeqa gegen Prostatakrebs sowie des Nierenmedikamentes Kerendia für Diabetiker halfen, dies auszugleichen. Perspektivisch könnte eine weitere Indikation das Wachstum von Kerendia zudem weiter antreiben: Zum Wochenstart hatte Bayer positive Studiendaten zur Behandlung einer Art der Herzinsuffizienz vorgelegt.
Neue Medikamente und das etablierte Augenmittel Eylea - Bayer zweitstärkster Pharma-Umsatzbringer - sollen helfen, den im weiteren Jahresverlauf wohl noch zunehmenden Druck auf Xarelto teilweise auszugleichen, sagte Finanzchef Wolfgang Nickl in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. So führt Bayer aktuell eine höhere Dosierung von Eylea ein. Die soll auch neue Patienten überzeugen, da sie weniger häufig ins Auge gespritzt werden muss. Alles in allem dürfte die Pharmasparte 2024 nun um 0 und 3 Prozent wachsen, statt wie bisher erwartet um bis zu 4 Prozent zu schrumpfen.
Für die Agrarsparte rechnet Nickl "angesichts des Gegenwinds durch die Marktentwicklung damit, das untere Ende der Guidance bei Umsatzwachstum und Marge zu erreichen." So dürfte das starke Wachstum im Kerngeschäft im zweiten Halbjahr durch deutliche Mengenrückgänge beim Unkrautvernichter Glyphosat gedämpft werden. Helfen sollen der Profitabilität auch geringere Herstellungskosten sowie Einsparungen durch den laufenden Umbau. Bayer-Chef Anderson hatte bereits bei seinem Amtsantritt vor gut einem Jahr betont, Kunden und Produkte stärker in den Fokus stellen zu wollen.
Ab 2026 sollen zwei Milliarden Euro jährlich eingespart werden, davon 500 Millionen im laufenden Jahr. "Wir sind auf Kurs zu beiden Zielen", sagte Anderson. Die Umsetzung des neuen Organisationsmodells gehe zügig voran.
"Wir haben 3.200 weniger Stellen im Konzern als Anfang des Jahres. Und wir haben 900 Teams zusammengestellt, die an unseren wichtigsten Aufgaben arbeiten." Insgesamt beschäftigte Bayer per Ende Juni auf Vollzeitstellen umgerechnet noch knapp 96.600 Menschen. Betroffen sind von dem neuen Ansatz vor allem Managementstellen.
Mit Blick auf das zweite Quartal stieg der Konzernumsatz im Jahresvergleich um knapp ein Prozent auf 11,14 Milliarden Euro. Ohne Wechselkurseffekte ergibt sich ein Plus von gut 3 Prozent. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen fiel hingegen um 16,5 Prozent auf 2,1 Milliarden Euro.
Der Rückgang resultiert aus einem weniger profitablen Produktmix. Zudem hatte Bayer vor einem Jahr - auch wegen einer damaligen Gewinnwarnung - weniger Geld für das kurzfristige Anreizsystem für Mitarbeiter auf die Seite legen müssen. Insgesamt übertraf der Pharma- und Agrarchemiekonzern die Erwartungen von Analysten im zweiten Quartal.
Unter dem Strich steht ein Minus von 34 Millionen Euro - nach einem Verlust von knapp 1,9 Milliarden vor einem Jahr. Damals war auch wegen eines trägen Glyphosat-Geschäfts eine Abschreibung in Milliardenhöhe notwendig geworden. Das war im abgelaufenen Quartal nicht der Fall, dafür wendete Bayer mehr für die Restrukturierung auf als vor einem Jahr.
Für Analyst Falko Friedrichs von der Deutschen Bank sind die Resultate auf den ersten Blick besser als gedacht, auf den zweiten Blick sieht er aber auch Schatten und nicht nur Licht. So sei das Umsatzwachstum aus eigener Kraft mager gewesen und die operative Gewinnmarge sei gesunken. Vor allem das Agrargeschäft bleibe träge. Die Bestätigung der Jahresziele sei zwar positiv, so Friedrichs, aber die Wechselkursentwicklung sei für Bayer in die falsche Richtung gelaufen. Leichte Senkungen der durchschnittlichen Schätzungen für 2024 seien daher nach wie vor möglich.
Für das Gesamtjahr peilt Anderson weiterhin einen um Sondereffekte bereinigten Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 10,2 bis 10,8 Milliarden Euro an. Auf Basis konstanter Wechselkurs stehen 10,7 bis 11,3 Milliarden Euro operatives Ergebnis im Plan.
Die Bayer-Aktien legten am Vormittag zunächst zu, drehten dann aber ins Minus. Am Nachmittag waren sie mit minus 2,7 Prozent auf 26,23 Euro unter den größten Verlierern im Dax, der moderat nachgab. Längerfristig sieht es noch trüber aus für die Bayer-Aktionäre: Vor einem Jahr hatten die Papiere noch mehr als 50 Euro gekostet, vor der ersten Niederlage in einem US-Prozess rund um angebliche Krebsrisiken glyphosathaltiger Unkrautvernichter.
Das Thema ist weiterhin nicht vom Tisch, ebenso wenig wie die ebenfalls teuren US-Rechtsstreitigkeiten rund um das seit Jahrzehnten verbotenen Umweltgift PCB. Beides ist Erbe des 2018 übernommenen Agrarchemiekonzerns Monsanto. Gleichwohl gab es bei beiden Themen zuletzt auch einige Fortschritte und positive Gerichtsurteile für die Leverkusener.
Zudem zielt Bayer seit einer Weile durch Lobby-Arbeit auf Gesetzesänderungen ab. "Wir konzentrieren uns weiterhin sowohl auf die Gesetzgebung auf nationaler Ebene als auch in einzelnen Bundesstaaten und setzen uns für die baldige Verabschiedung eines Gesetzes im Kongress ein", das Landwirten Verlässlichkeit bringen solle, betonte Anderson am Dienstag.
Unter dem Druck der milliardenschweren Rechtsstreitigkeiten hatte Bayer Anfang des Jahres die Dividende zusammengestrichen. Für drei Jahre wird nur das gesetzlich geforderte Minimum ausgeschüttet. Das soll helfen, die hohen Schulden abzutragen. Per Ende Juni sank die Nettoverschuldung im Jahresvergleich um gut 7 Prozent auf knapp 36,8 Milliarden Euro.
Dabei half auch der freie Finanzmittelzufluss von fast 1,3 Milliarden Euro, nachdem vor einem Jahr noch Geld abgeflossen war. Für das Gesamtjahr stehen weiterhin 2 bis 3 Milliarden Euro Free Cashflow im Plan./mis/ngu/he