BERLIN (dpa-AFX) - Der deutsche Botschafter in Moskau, Alexander Graf Lambsdorff, sieht derzeit keine Chancen auf Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg. "Im Moment lässt die russische Seite keine Verhandlungsbereitschaft erkennen, sondern pocht auf weit überzogene Vorbedingungen", sagte Lambsdorff in einem Interview des "Bonner General-Anzeigers".
Wenn der russische Präsident Wladimir Putin erkläre, er sei nur bereit, mit der Ukraine zu reden, wenn diese sich zuvor vollständig aus allen Gebieten zurückziehe, die Russland seiner Meinung nach bereits annektiert habe - also auch aus den Teilen, die Russland gar nicht militärisch kontrolliere - "dann ist ja klar, dass da keine Ernsthaftigkeit hinter steht", sagte Lambsdorff, der seit rund einem Jahr Botschafter in Moskau ist.
Die Arbeit der deutschen Botschaft in Moskau sei darauf ausgerichtet, präsent zu sein, um tätig werden zu können, sollte sich die Haltung Moskaus ändern. "Denn eines Tages muss auch Russland erkennen, dass es mit diesem Krieg deutlich weniger erreicht, als es sich zu Beginn vorgenommen hat, dass es sich international schweren Schaden zufügt und dass es sich in einer Kriegswirtschaft befindet, die völlig überhitzt ist und nicht durchzuhalten sein wird."
Ukrainischer Vorstoß nach Kursk "böse Überraschung" für Russland
Der ukrainische Vorstoß in das russische Gebiet Kursk mit Bodentruppen habe Russland nervös gemacht. Für die Grenzschutztruppen, den Geheimdienst, das Militär, die Zivilverteidigung und auch die Bevölkerung sei es eine böse Überraschung gewesen, dass den ukrainischen Truppen eine derartige Aktion gelingen konnte.
Auf die Frage, ob der Anfang August durchgeführte, große Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen ein Signal dafür sei, dass sich Russland bewege, sagte Lambsdorff der Zeitung weiter, dass es Putin nur um den sogenannten Tiergartenmörder gegangen sei. "Das hat sein Empfang in Moskau noch einmal sehr deutlich gemacht." Putin hatte den in Deutschland inhaftierten "Tiergartenmörder" Wadim Krassikow mit einer Umarmung in Moskau begrüßt. Der Austausch, so Lambsdorff, sei deshalb kein Anzeichen für eine grundlegende Verbesserung der Kommunikation mit Moskau.
Lambsdorff sagte, als Deutscher solle man nach Russland wirklich nur reisen, wenn es zwingend erforderlich sei. "Es ist einfach so, dass die Beziehungen so angespannt sind wie seit Jahrzehnten nicht mehr."
Russische Bevölkerung "keineswegs gleichgeschaltet"
Zur Einstellung der russischen Bevölkerung sagte Lambsdorff, dass er davon ausgehe, dass zwischen 15 und 20 Prozent der Bürger von der Politik der russischen Regierung begeistert sind. Dann gebe es eine ähnlich große Gruppe, die gegen den Ukraine-Krieg sei. Und er sehe eine eher unpolitische Mitte. "Es ist keineswegs so, dass alle gleichgeschaltet wären."
Die Kontakte zur russischen Regierung sind laut Lambsdorff zurzeit sehr beschränkt. Im russischen Außenministerium habe man einigen Leuten verboten, mit westlichen Botschaftern zu reden. Die russische Seite verweigere echte, inhaltliche Gespräche zurzeit quasi völlig, egal mit wem. "Damit isoliert Russland sich natürlich selbst."/vee/DP/he