BUDAPEST (dpa-AFX) - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wirft europäischen Partnern nach dem Wahlsieg von Donald Trump vor, die Ukraine zu Zugeständnissen gegenüber Russland zu drängen. Ohne Namen zu nennen, warnte er bei einem Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) in Budapest vor den Folgen.
Das wäre selbstmörderisch für Europa, sagte er. Man müsse auf das Konzept "Frieden durch Stärke" setzen. Es sei illusorisch, zu glauben, mit Zugeständnissen an Kremlchef Wladimir Putin einen gerechten Frieden erreichen zu können.
Unter anderem Gipfel-Gastgeber Viktor Orban und Serbiens Präsident Aleksandar Vucic hatten zuvor deutlich gemacht, dass sie den Wiedereinzug des Republikaners Trump ins Weiße Haus als Chance für eine schnelle Beendigung des Krieges in der Ukraine sehen. Dieser hatte zuvor im Wahlkampf mehrfach behauptet, den russischen Angriffskrieg innerhalb von 24 Stunden beenden zu können.
Orban sagte nach dem Gipfel: "Die Zahl derer, die Frieden wollen, wird immer größer." Mit der Wahl in den USA sei dieses Lager noch einmal gestärkt worden. Es gehe nicht um Sieg oder Scheitern, sondern um einen Waffenstillstand. Dem hielt Selenskyj entgegen: Man habe bereits 2014 versucht, einen Waffenstillstand zu erreichen. Dann habe die Ukraine die Krim-Halbinsel verloren und sei 2022 von Russland angegriffen worden. "Ein Waffenstillstand ist die Vorbereitung auf die Zerstörung unserer Souveränität, unserer Unabhängigkeit", sagte Selenskyj.
Vor allem osteuropäische Staaten wie Litauen oder Estland befürchten, dass Trump die Ukraine über einen Stopp der Militärhilfe in Verhandlungen mit Russland zwingen könnte. Aus Sicht vieler europäischen Staaten wäre ein solches Vorgehen ein gefährlicher Tabu-Bruch. Putin könnte seinen Krieg dann als Erfolg verbuchen und zu weiteren Aggressionen verleitet werden, hieß es.
Plan für entmilitarisierte Zone?
Das "Wall Street Journal" berichtete am Donnerstag, eine der Ideen im Trump-Lager sei, dass die Ukraine versprechen solle, mindestens 20 Jahre lang nicht der Nato beizutreten. Im Gegenzug würden die USA das Land weiterhin mit Waffen versorgen. Zu dem Plan gehöre auch eine entmilitarisierte Zone entlang des Frontverlaufs.
Strategie der Ukraine-Unterstützer ist es nun, Trump über einen intensiven Dialog vor allzu drastischen Entscheidungen abzuhalten. "Ich hoffe, dass wir ein offenes Gespräch mit den Vereinigten Staaten über die Fortsetzung ihrer Unterstützung führen können", sagte etwa der belgische Regierungschef Alexander De Croo in Budapest. Wenn sie sich dennoch entscheiden sollten, ihre Haltung zu ändern, bedeute dies aber auch nicht, dass man seine eigenen Prioritäten ändern müsse.
Für die Europäer stellt sich allerdings die Frage, ob es nicht illusorisch sei, zu denken, dass sie die Ukraine ohne die USA ausreichend unterstützen können, um gegen Russland bestehen zu können. Politiker wie Ungarns Regierungschef Orban bezweifeln dies und fordern eine neue Strategie der EU für die von Russland angegriffene Ukraine.
Der französische Präsident Emmanuel Macron wirbt hingegen für einen offensiven Umgang mit den Herausforderungen durch das Ergebnis der US-Wahl. "Trump wird die Interessen der Amerikaner verteidigen, die Frage ist, ob wir bereit sind, die Interessen der Europäer zu verteidigen", sagte er und sprach sich dafür aus, dass die Europäer im übertragenen Sinne "Allesfresser" sein sollten. "Die Welt besteht aus Pflanzenfressern und Fleischfressern. Wenn wir uns entscheiden, Pflanzenfresser zu bleiben, werden die Fleischfresser gewinnen, und wir werden ein Markt für sie sein." Er wolle nicht aggressiv sein, aber es gehe um Verteidigungsfähigkeit.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen äußerte die Hoffnung, dass ein Sieg Putins auch aus Sicht Trumps ein sehr schlechtes Szenario wäre. "Es liegt in unserem gemeinsamen Interesse, dass wir nicht zulassen, dass der Nachbar den anderen tyrannisiert, sondern dass wir für Fairness und die Integrität der Länder sorgen und diese verteidigen", sagte die Deutsche.
Ampel-Aus auch Thema für Europa
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nahm wegen des Bruchs seiner Regierungskoalition nicht an dem EPG-Gipfel teil. Er wollte allerdings am Donnerstagabend noch nach Budapest reisen. Dann beginnt dort im direkten Anschluss an den EPG-Gipfel ein Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten. Europäische Partner äußerten die Hoffnung, dass es in Deutschland schnell wieder eine stabile Regierung gibt. Der finnische Regierungschef Petteri Orpo sagte, es brauche eine starke und vereinte deutsche Regierung in Europa./aha/DP/he