Bern (ots) -
Männer begehen viel häufiger Suizid als Frauen. Besonders gefährdet sind diejenigen, die dem traditionellen Bild von Eigenständigkeit und Stärke entsprechen wollen. Prävention sollte sich künftig verstärkt auf sie fokussieren.
Die Suizidrate bei Männern ist global etwa zwei- bis viermal so hoch wie bei Frauen, auch in der Schweiz. Ein Grund für diesen signifikanten Unterschied ist, dass das Risiko bei Männern oft zu spät erkannt wird. Doch nicht alle Männer sind gleichermassen gefährdet. In einem vom SNF geförderten Projekt hat eine Forschungsgruppe aus dem psychologischen Institut der Universität Zürich nun soziokulturelle Faktoren identifiziert, die das Suizidrisiko bei Männern deutlich erhöhen. "Für diese Untergruppe sollten wir uns gezielt präventive Massnahmen überlegen", sagt Teamleiter Andreas Walther.
Eine amerikanische Langzeitstudie mit etwa 10'000 jungen Männern hat bereits gezeigt, dass diese im Verlauf von zwanzig Jahren mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Suizid begehen, wenn sie sich stark mit traditionellen maskulinen Rollennormen identifizieren. Solche Normen sind durch Vorstellungen geprägt, die dem früheren stark patriarchisch geprägten Gesellschaftsgefüge entspringen. Sie beschreiben, welche Eigenschaften Männer haben sollen und wie sich zu verhalten haben. Dazu gehören beispielsweise Eigenständigkeit, Kontrolle von Emotionen und das Verstecken von Verletzlichkeit. In der Wissenschaft wird dies unter dem Begriff traditionelle Maskulinitätsideologien zusammengefasst.
"Mit unserer Studie wollten wir nun viel feiner untersuchen, welche Aspekte dieser Ideologien für das Suizidrisiko eine Rolle spielen", so Walther. Dafür rekrutierte das Team knapp 500 Männer aus deutschsprachigen Ländern mit Hilfe von Flyern und Aufrufen in sozialen Medien. Die Studienteilnehmer füllten eine Reihe von Fragebögen aus, die unter anderem Symptome für Depression, Konformität mit traditionellen Maskulinitätsideologien und suizidales Verhalten ermittelten.
Kombination von Eigenschaften und Haltungen führt zu Tunnelblick
Dabei stellte sich heraus, dass 13 Prozent der Teilnehmer schon einen Suizidversuch hinter sich hatten, ein Viertel berichtete von einer Depressionsdiagnose und ein Fünftel war schon einmal in einer Psychotherapie. Erstautor Lukas Eggenberger weist darauf hin, dass diese hohen Anteile wahrscheinlich nicht repräsentativ sind: "Ein Studienaufruf dieser Art spricht tendenziell eher Personen an, die schon psychisch belastet sind." Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Auswertung der Daten in Bezug auf soziokulturelle Faktoren. Männer, deren Antworten auf ein hohes Gefährdungspotenzial hinwiesen, wurden auf Hilfsangebote aufmerksam gemacht.
"Die Analyse der Befragung hat gezeigt, dass man drei Gruppen unterscheiden kann", sagt Eggenberger. Für etwa sechzig Prozent der Studienteilnehmer spielt Konformität mit traditionellen Maskulinitätsideologien keine wesentliche Rolle. Für diese Gruppe wählten die Forschenden die Bezeichnung Egalitäre. Etwa 15 Prozent - diese nannten sie Player - haben ein Bild von Männlichkeit, das sich vor allem in einer patriarchalischen Einstellung manifestiert. Diesen Männern ist es zudem wichtig, viele Sexualpartnerinnen zu haben und als heterosexuell wahrgenommen zu werden. Die letzte Gruppe, von den Forschenden als Stoiker bezeichnet, umfasst etwa einen Viertel der Männer: Sie weisen eine starke Konformität mit traditionellen Normen auf - allerdings nicht wie die Player hauptsächlich in Bezug auf Status und sexuelle Erfolge, sondern auf Faktoren wie Kontrolle von Emotionen, Eigenständigkeit und Risikobereitschaft wie zum Beispiel schnelles Fahren oder das Ausüben von Extremsportarten.
Die Auswertung der Fragebögen hinsichtlich Suizidgefährdung zeigte, dass die Gruppe der Stoiker im Vergleich zu den Egalitären ein mehr als doppelt so hohes Risiko für Suizidversuche aufweist. Bei den Playern war die Gefahr gegenüber den Egalitären hingegen nicht signifikant erhöht. "Gerade in einer belastenden Situation oder einer psychischen Krise bilden die Einstellungen der Stoiker eine sehr problematische Kombination", so Eggenberger. Sie würden etwa denken: "Ich darf meine Gefühle nicht zeigen und ich muss meine Probleme alleine lösen." Gepaart mit der für die Stoiker typischen hohen Risikobereitschaft, kann es so zu einer Art Tunnelblick kommen - und der einzige mögliche Ausweg scheint dann manchmal ein Suizid. Die Studie zeigt zudem, dass die traditionellen Vorstellungen keineswegs nur in den Köpfen der älteren Generation verhaftet sind - ganz im Gegenteil: Die Gruppe der Stoiker war signifikant jünger als die anderen Gruppen. Eggenberger hat eine Vermutung, warum das so sein könnte: "Aus entwicklungstheoretischer Sicht ist das junge Erwachsenenalter eine zentrale Phase der Identitätsfindung. Traditionelle Maskulinitätsideologien bieten jungen Männern eine Möglichkeit, sich über ihr Geschlecht zu definieren, quasi zum Klub der Männer zu gehören."
Für Prävention die Depressionen besser erkennen
Aufgrund der Forschungsergebnisse empfiehlt das Studienteam die Entwicklung von Interventionen, die speziell auf die Gruppe der Stoiker zugeschnitten sind. Zum Beispiel könnten medizinische Fachkräfte stärker für diese Männer sensibilisiert werden. Eine retrospektive Studie zu fast 3000 Suiziden in Kanada hat gezeigt, dass sechzig Prozent der betroffenen Männer im Jahr davor bei Fachkräften für psychische Gesundheit nach Hilfe gesucht haben. "Aber sie wurden dort möglicherweise nicht richtig abgeholt und sind durch das Raster gefallen", so Walther. Ein möglicher Grund: "Depressionen äussern sich bei diesen Männern oft nicht durch klassische Symptome, sondern als somatische Probleme wie etwa Rückenschmerzen. Sie drücken ihre negativen Gefühle auch häufig durch Aggressionen oder risikoreiches Verhalten aus, statt darüber zu sprechen", so Walther. Dies ist durch zahlreiche Studien von verschiedenen Forschungsgruppen belegt.
Unbehandelte Depressionen spielen erwiesenermassen eine zentrale Rolle bei der erhöhten Suizidrate von Männern. Im Rahmen des vom SNF geförderten Projekts entwickelt und validiert das Team deshalb zudem eine männerspezifische Psychotherapie bei Depressionen. "Diese setzt unter anderem darauf, das Festklammern an traditionellen Geschlechternormen aufzuweichen."
(*) L. Eggenberger et al.: Men's Suicidal thoughts and behaviors and conformity to masculine norms: A person-centered, latent profile approach. Heliyon (2024) (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2405844024151250)
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Brauchen Sie Hilfe oder Beratung?
Erwachsene: Dargebotene Hand/Sorgentelefon?
- Telefon (rund um die Uhr): 143
- Mail und Chat: www.143.ch
Kinder und Jugendliche: Pro Juventute
- Telefon (rund um die Uhr) und SMS: 147
- Mail und Chat: www.147.ch
Weitere Informationen: www.reden-kann-retten.ch
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Der Text dieser News und weitere Informationen stehen auf der Webseite (https://www.snf.ch/de/HTIYFmVEjJyqgfkE/news/rollenkonforme-maenner-sind-gefaehrdeter) des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.
Pressekontakt:
Lukas Eggenberger
Universität Zürich
Psychologisches Institut
E-Mail: lukas.eggenberger@bli.uzh.ch
Tel.: +41 44 634 06 81
Original-Content von: Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse, übermittelt durch news aktuell
Originalmeldung: https://www.presseportal.ch/de/pm/100002863/100926249
Männer begehen viel häufiger Suizid als Frauen. Besonders gefährdet sind diejenigen, die dem traditionellen Bild von Eigenständigkeit und Stärke entsprechen wollen. Prävention sollte sich künftig verstärkt auf sie fokussieren.
Die Suizidrate bei Männern ist global etwa zwei- bis viermal so hoch wie bei Frauen, auch in der Schweiz. Ein Grund für diesen signifikanten Unterschied ist, dass das Risiko bei Männern oft zu spät erkannt wird. Doch nicht alle Männer sind gleichermassen gefährdet. In einem vom SNF geförderten Projekt hat eine Forschungsgruppe aus dem psychologischen Institut der Universität Zürich nun soziokulturelle Faktoren identifiziert, die das Suizidrisiko bei Männern deutlich erhöhen. "Für diese Untergruppe sollten wir uns gezielt präventive Massnahmen überlegen", sagt Teamleiter Andreas Walther.
Eine amerikanische Langzeitstudie mit etwa 10'000 jungen Männern hat bereits gezeigt, dass diese im Verlauf von zwanzig Jahren mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Suizid begehen, wenn sie sich stark mit traditionellen maskulinen Rollennormen identifizieren. Solche Normen sind durch Vorstellungen geprägt, die dem früheren stark patriarchisch geprägten Gesellschaftsgefüge entspringen. Sie beschreiben, welche Eigenschaften Männer haben sollen und wie sich zu verhalten haben. Dazu gehören beispielsweise Eigenständigkeit, Kontrolle von Emotionen und das Verstecken von Verletzlichkeit. In der Wissenschaft wird dies unter dem Begriff traditionelle Maskulinitätsideologien zusammengefasst.
"Mit unserer Studie wollten wir nun viel feiner untersuchen, welche Aspekte dieser Ideologien für das Suizidrisiko eine Rolle spielen", so Walther. Dafür rekrutierte das Team knapp 500 Männer aus deutschsprachigen Ländern mit Hilfe von Flyern und Aufrufen in sozialen Medien. Die Studienteilnehmer füllten eine Reihe von Fragebögen aus, die unter anderem Symptome für Depression, Konformität mit traditionellen Maskulinitätsideologien und suizidales Verhalten ermittelten.
Kombination von Eigenschaften und Haltungen führt zu Tunnelblick
Dabei stellte sich heraus, dass 13 Prozent der Teilnehmer schon einen Suizidversuch hinter sich hatten, ein Viertel berichtete von einer Depressionsdiagnose und ein Fünftel war schon einmal in einer Psychotherapie. Erstautor Lukas Eggenberger weist darauf hin, dass diese hohen Anteile wahrscheinlich nicht repräsentativ sind: "Ein Studienaufruf dieser Art spricht tendenziell eher Personen an, die schon psychisch belastet sind." Dies hatte jedoch keinen Einfluss auf die Auswertung der Daten in Bezug auf soziokulturelle Faktoren. Männer, deren Antworten auf ein hohes Gefährdungspotenzial hinwiesen, wurden auf Hilfsangebote aufmerksam gemacht.
"Die Analyse der Befragung hat gezeigt, dass man drei Gruppen unterscheiden kann", sagt Eggenberger. Für etwa sechzig Prozent der Studienteilnehmer spielt Konformität mit traditionellen Maskulinitätsideologien keine wesentliche Rolle. Für diese Gruppe wählten die Forschenden die Bezeichnung Egalitäre. Etwa 15 Prozent - diese nannten sie Player - haben ein Bild von Männlichkeit, das sich vor allem in einer patriarchalischen Einstellung manifestiert. Diesen Männern ist es zudem wichtig, viele Sexualpartnerinnen zu haben und als heterosexuell wahrgenommen zu werden. Die letzte Gruppe, von den Forschenden als Stoiker bezeichnet, umfasst etwa einen Viertel der Männer: Sie weisen eine starke Konformität mit traditionellen Normen auf - allerdings nicht wie die Player hauptsächlich in Bezug auf Status und sexuelle Erfolge, sondern auf Faktoren wie Kontrolle von Emotionen, Eigenständigkeit und Risikobereitschaft wie zum Beispiel schnelles Fahren oder das Ausüben von Extremsportarten.
Die Auswertung der Fragebögen hinsichtlich Suizidgefährdung zeigte, dass die Gruppe der Stoiker im Vergleich zu den Egalitären ein mehr als doppelt so hohes Risiko für Suizidversuche aufweist. Bei den Playern war die Gefahr gegenüber den Egalitären hingegen nicht signifikant erhöht. "Gerade in einer belastenden Situation oder einer psychischen Krise bilden die Einstellungen der Stoiker eine sehr problematische Kombination", so Eggenberger. Sie würden etwa denken: "Ich darf meine Gefühle nicht zeigen und ich muss meine Probleme alleine lösen." Gepaart mit der für die Stoiker typischen hohen Risikobereitschaft, kann es so zu einer Art Tunnelblick kommen - und der einzige mögliche Ausweg scheint dann manchmal ein Suizid. Die Studie zeigt zudem, dass die traditionellen Vorstellungen keineswegs nur in den Köpfen der älteren Generation verhaftet sind - ganz im Gegenteil: Die Gruppe der Stoiker war signifikant jünger als die anderen Gruppen. Eggenberger hat eine Vermutung, warum das so sein könnte: "Aus entwicklungstheoretischer Sicht ist das junge Erwachsenenalter eine zentrale Phase der Identitätsfindung. Traditionelle Maskulinitätsideologien bieten jungen Männern eine Möglichkeit, sich über ihr Geschlecht zu definieren, quasi zum Klub der Männer zu gehören."
Für Prävention die Depressionen besser erkennen
Aufgrund der Forschungsergebnisse empfiehlt das Studienteam die Entwicklung von Interventionen, die speziell auf die Gruppe der Stoiker zugeschnitten sind. Zum Beispiel könnten medizinische Fachkräfte stärker für diese Männer sensibilisiert werden. Eine retrospektive Studie zu fast 3000 Suiziden in Kanada hat gezeigt, dass sechzig Prozent der betroffenen Männer im Jahr davor bei Fachkräften für psychische Gesundheit nach Hilfe gesucht haben. "Aber sie wurden dort möglicherweise nicht richtig abgeholt und sind durch das Raster gefallen", so Walther. Ein möglicher Grund: "Depressionen äussern sich bei diesen Männern oft nicht durch klassische Symptome, sondern als somatische Probleme wie etwa Rückenschmerzen. Sie drücken ihre negativen Gefühle auch häufig durch Aggressionen oder risikoreiches Verhalten aus, statt darüber zu sprechen", so Walther. Dies ist durch zahlreiche Studien von verschiedenen Forschungsgruppen belegt.
Unbehandelte Depressionen spielen erwiesenermassen eine zentrale Rolle bei der erhöhten Suizidrate von Männern. Im Rahmen des vom SNF geförderten Projekts entwickelt und validiert das Team deshalb zudem eine männerspezifische Psychotherapie bei Depressionen. "Diese setzt unter anderem darauf, das Festklammern an traditionellen Geschlechternormen aufzuweichen."
(*) L. Eggenberger et al.: Men's Suicidal thoughts and behaviors and conformity to masculine norms: A person-centered, latent profile approach. Heliyon (2024) (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2405844024151250)
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Erwachsene: Dargebotene Hand/Sorgentelefon?
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- Telefon (rund um die Uhr) und SMS: 147
- Mail und Chat: www.147.ch
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Psychologisches Institut
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