Berlin (ots) -
Selten verlief eine Revolution derart schnell und vergleichsweise unblutig wie der Umsturz in Syrien. Das mit brutaler Gewalt am Leben gehaltene Regime des Langzeitdiktators Baschar al-Assad fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Den islamistischen Rebellen unter der Führung der Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) gelang in weniger als zwei Wochen ein Durchmarsch. Das ist historisch.
Die syrische Revolution war möglich, weil es nach dem Massaker der radikalislamischen Hamas in Israel eine mächtige Kräfteverschiebung im Nahen Osten gab. Assad brachen nach und nach die Bundesgenossen weg. Die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon wurde durch die rabiaten Angriffe Israels stark dezimiert. Die militärische Unterstützung für Assad schmolz zusammen. Der Waffen- und Finanzsponsor Iran hatte keine Hilfstruppen gegen den Erzfeind Israel mehr. Zudem muss sich Teheran gegen eine Neuauflage der "Strategie des maximalen Drucks" wappnen, wenn Donald Trump ab dem 20. Januar im Weißen Haus sitzt.
Entscheidend für den Zusammenbruch von Assads Herrschaftssystem war aber der Ausfall Moskaus. Im Gegensatz zu 2015 und 2016, als die russische Luftwaffe dem Assad-Regime das Überleben sicherte, hielt sich Kremlchef Wladimir Putin dieses Mal zurück. Ein Sieg im Ukraine-Krieg ist seine Priorität Nummer eins. Rund 700.000 bis 800.000 seiner Soldaten sind dort im Einsatz. Putin macht erstmals in seiner Amtszeit die Erfahrung einer imperialen Überdehnung.
In Syrien sind die zerstörerischen externen Kräfte weg. Das ist eine Chance für den Neuaufbau des Landes. Der Führer der dominierenden islamistischen Rebellengruppe HTS, Mohammed al-Dschulani, gab sich zuletzt moderat. So warnte er seine Verbände vor Rache-Aktionen gegen die Bevölkerung und rief zur Achtung der Rechte von Minderheiten auf. Al-Dschulani ist jedenfalls nicht mehr der radikale Dschihadist aus früheren Jahren, als er nach dem US-Einmarsch im Irak 2003 an der Seite von Al-Kaida-Einheiten gegen die Amerikaner kämpfte.
All dies lässt hoffen. Doch es gibt auch etliche Risiken. Zwar gelang es al-Dschulani, in der Rebellenprovinz Idlib eine einigermaßen stabile Grundversorgung herzustellen. Dennoch galten die Normen des islamischen Rechts, der Scharia - auch wenn sie nicht mit Gewalt durchgeboxt wurden. Aber selbst wenn al-Dschulani nicht ideologieüberfrachtet daherkommt, es gibt keine Blaupause, was eine HTS-geführte Regierung für Syrien bedeuten würde. Die Rebellengruppen waren zwar einig im Ziel, Assad zu stürzen. Doch über die Zeit danach herrscht wenig Konsens. Auch der Umgang mit den Kurden, die sich im Nordosten eine eigene Autonomieregion geschaffen haben, ist offen.
Aus internationaler Sicht ist al-Dschulani ebenfalls ein offenes Buch. Wie er sich mit Blick auf den Iran, Russland, Israel und den Westen positioniert, ist unklar. Davon hängt ab, ob Syrien im Nahen Osten eine Kraft der Stabilität wird oder erneut im Chaos versinkt. Eine entscheidende Rolle spielt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der größte Unterstützer des HTS. Erdogan will, dass die rund drei Millionen syrischen Migranten in der Türkei in ihr Heimatland zurückkehren.
Ein stabiles Syrien, das keine neuen Flüchtlingswellen auslöst, sondern Geflüchtete zurücknimmt, ist auch im strategischen Interesse Europas. Die EU sollte die neue Führung in Damaskus kritisch prüfen und mögliche Chancen ausloten. In Zeiten weltpolitischer Unordnung ist Pragmatismus angesagt.
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Selten verlief eine Revolution derart schnell und vergleichsweise unblutig wie der Umsturz in Syrien. Das mit brutaler Gewalt am Leben gehaltene Regime des Langzeitdiktators Baschar al-Assad fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Den islamistischen Rebellen unter der Führung der Gruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) gelang in weniger als zwei Wochen ein Durchmarsch. Das ist historisch.
Die syrische Revolution war möglich, weil es nach dem Massaker der radikalislamischen Hamas in Israel eine mächtige Kräfteverschiebung im Nahen Osten gab. Assad brachen nach und nach die Bundesgenossen weg. Die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon wurde durch die rabiaten Angriffe Israels stark dezimiert. Die militärische Unterstützung für Assad schmolz zusammen. Der Waffen- und Finanzsponsor Iran hatte keine Hilfstruppen gegen den Erzfeind Israel mehr. Zudem muss sich Teheran gegen eine Neuauflage der "Strategie des maximalen Drucks" wappnen, wenn Donald Trump ab dem 20. Januar im Weißen Haus sitzt.
Entscheidend für den Zusammenbruch von Assads Herrschaftssystem war aber der Ausfall Moskaus. Im Gegensatz zu 2015 und 2016, als die russische Luftwaffe dem Assad-Regime das Überleben sicherte, hielt sich Kremlchef Wladimir Putin dieses Mal zurück. Ein Sieg im Ukraine-Krieg ist seine Priorität Nummer eins. Rund 700.000 bis 800.000 seiner Soldaten sind dort im Einsatz. Putin macht erstmals in seiner Amtszeit die Erfahrung einer imperialen Überdehnung.
In Syrien sind die zerstörerischen externen Kräfte weg. Das ist eine Chance für den Neuaufbau des Landes. Der Führer der dominierenden islamistischen Rebellengruppe HTS, Mohammed al-Dschulani, gab sich zuletzt moderat. So warnte er seine Verbände vor Rache-Aktionen gegen die Bevölkerung und rief zur Achtung der Rechte von Minderheiten auf. Al-Dschulani ist jedenfalls nicht mehr der radikale Dschihadist aus früheren Jahren, als er nach dem US-Einmarsch im Irak 2003 an der Seite von Al-Kaida-Einheiten gegen die Amerikaner kämpfte.
All dies lässt hoffen. Doch es gibt auch etliche Risiken. Zwar gelang es al-Dschulani, in der Rebellenprovinz Idlib eine einigermaßen stabile Grundversorgung herzustellen. Dennoch galten die Normen des islamischen Rechts, der Scharia - auch wenn sie nicht mit Gewalt durchgeboxt wurden. Aber selbst wenn al-Dschulani nicht ideologieüberfrachtet daherkommt, es gibt keine Blaupause, was eine HTS-geführte Regierung für Syrien bedeuten würde. Die Rebellengruppen waren zwar einig im Ziel, Assad zu stürzen. Doch über die Zeit danach herrscht wenig Konsens. Auch der Umgang mit den Kurden, die sich im Nordosten eine eigene Autonomieregion geschaffen haben, ist offen.
Aus internationaler Sicht ist al-Dschulani ebenfalls ein offenes Buch. Wie er sich mit Blick auf den Iran, Russland, Israel und den Westen positioniert, ist unklar. Davon hängt ab, ob Syrien im Nahen Osten eine Kraft der Stabilität wird oder erneut im Chaos versinkt. Eine entscheidende Rolle spielt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der größte Unterstützer des HTS. Erdogan will, dass die rund drei Millionen syrischen Migranten in der Türkei in ihr Heimatland zurückkehren.
Ein stabiles Syrien, das keine neuen Flüchtlingswellen auslöst, sondern Geflüchtete zurücknimmt, ist auch im strategischen Interesse Europas. Die EU sollte die neue Führung in Damaskus kritisch prüfen und mögliche Chancen ausloten. In Zeiten weltpolitischer Unordnung ist Pragmatismus angesagt.
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