Harald Gabel Experte für Anlage- und Hebelprodukte und Buchautor spricht mit Richard Pfadenhauer, Chefredakteur des onemarkets Magazins, wie der Blick auf Kurscharts bei der Produktauswahl helfen kann und worin dabei die größte Gefahr besteht
Onemarkets: Derivate sind für viele Teufelszeug. Sie haben das Buch "Mehr Börsenerfolg mit Zertifikaten" geschrieben. Was antworten Sie den Kritikern?
Harald Gabel: Die Kritik an Derivaten basiert oft auf einem Missverständnis oder einem einseitigen Blick auf deren Funktionsweise. Warren Buffett, ein prominenter Kritiker von Derivaten, nutzt sie indirekt dennoch über seine Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway. Viele der Unternehmen, in die er investiert, wie Versicherungskonzerne, sind intensiv im Bereich von Kreditderivaten aktiv. Mein früherer Mentor Gordian Weber hielt Aktien selbst für problematisch und sah deren eigentlichen Wert nur als Basiswerte für strukturierte Produkte. Das zeigt: Jeder Marktteilnehmer hat eine eigene Perspektive. Es gibt kein absolut richtig oder falsch. Derivate erweitern vielmehr die Palette an Anlagemöglichkeiten, und mit der richtigen Strategie können sie für viele Anleger eine sinnvolle Ergänzung sein.
Onemarkets: Das Produktspektrum strukturierter Anleihen, Anlagezertifikate und Hebelprodukte ist enorm. Nach Angaben des Bundesverbands strukturierter Produkte waren Ende September 2024 über 100 Milliarden Euro in strukturierte Wertpapiere investiert. Diese Produkte sind somit durchaus in vielen Depots zu finden …
Gabel: Ja, das ist vollkommen richtig. Ein großer Teil des in Derivaten investierten Volumens entfällt auf anleiheähnliche Produkte. Diese bilden eine stabile Basis, aber sie sind nur ein Teil der Derivatewelt. Die Bandbreite an Produkten ist beeindruckend: Jedes Derivat hat den Vorteil, individuelle Zahlungsströme abzubilden, die spezifisch auf die Bedürfnisse und Markteinschätzungen eines Anlegers zugeschnitten sind.
Einige Derivate erlauben eine überproportionale Teilnahme an der Entwicklung eines Basiswerts, sei es ein Index oder eine Aktie. Andere Produkte bieten mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine festgelegte Rendite, oft gekoppelt an Schutzmechanismen durch die Emittentin. Dadurch wird das Anlagespektrum enorm erweitert und Anleger können ihre individuellen Marktmeinungen besser umsetzen.
Wichtig ist jedoch, die Vielseitigkeit der Produkte zu verstehen. Es gibt kein universelles Derivat, das in jeder Marktphase optimal funktioniert. Anleger sollten daher die "Klaviatur der strukturierten Produkte" nutzen, um ihre Strategie zu diversifizieren. Ähnlich wie in einem Orchester, bei dem verschiedene Instrumente gemeinsam harmonieren, kann eine Kombination verschiedener Derivate zu einem ausgewogenen und robusten Portfolio führen. Dies setzt allerdings voraus, dass man sich mit den Eigenschaften und Einsatzmöglichkeiten der einzelnen Produkte gut auskennt.
Onemarkets: Wie wählt ein Anleger das passende Produkt?
Gabel: Die meisten Anleger, die in Anlage- und Hebelprodukte investieren, wissen genau, wie diese Wertpapiere funktionieren, fühlen sich jedoch oftmals angesichts der enormen Angebots bei der Wahl des passenden Produkts überfordert. Daher gilt es, die Produktanzahl durch Faustregeln und systematischem Vorgehen auf einige wenige einzugrenzen.
Bleiben wir beim Beispiel der Renditeoptimierung. In solchen Fällen greifen die meisten Anleger zu Discountzertifikate oder BonusCaps. Letzteres bietet den Vorteil, dass es zusätzlich noch mit einer Barriere ausgestattet ist. Notiert die Aktie oder der Index stets oberhalb dieser Marke, erhalten Investoren den festgelegten maximalen Rückzahlungsbetrag. Egal wo der Basiswert am finalen Bewertungstag schließt. Im Gegenzug notieren diese Wertpapiere zu einem Aufpreis. Discount-Zertifikat hingegen mit einem Abschlag gegenüber dem Basiswert. Als Alternative würden sich aber auch konservativ ausgestattete Discount-Optionsschein anbieten, die dann einen zusätzlichen Renditekick bringen.
Onemarkets: In Ihrem Buch beschreiben Sie, wie Anleger beispielsweise das passende Bonus Cap-Zertifikat finden. Können Sie erklären, wie Sie dabei vorgehen?
Gabel: Zunächst analysiere ich den historischen Kursverlauf des Basiswerts. Anhand des Charts lassen sich mögliche Unterstützungsmarken sowie Widerstandslinien erkennen. Liegt die nächstgelegene Unterstützungsmarke beispielsweise mindestens 25 Prozent unterhalb des aktuellen Kurses, grenze ich das in Frage kommende Produktspektrum entsprechend ein und setze die Barrieren etwa zwischen 25 und 50 Prozent unterhalb des aktuellen Niveaus. Im nächsten Schritt definiere ich einen Korridor für die Laufzeit, in der Regel zwischen sechs und zwölf Monaten. Auf diese Weise reduziert sich die Anzahl der potenziellen Produkte bereits erheblich. Am Ende bleiben in den meisten Fällen nur noch wenige Produkte übrig, die exakt zu den definierten Kriterien passen.
Onemarkets: Worin sehen Sie die größte Gefahr bei der Auswahl des passenden Produkts?
Gabel: Ich erlebe immer wieder, dass Investoren zwar die richtige Idee haben, jedoch das falsche Produkt wählen. Häufig höre ich dann Sätze wie: "Es hätte ja funktioniert, wenn…". Dabei liegen die Fehler oft bereits bei der Produktauswahl - sei es durch einen zu geringen Barriereabstand, die Wahl eines ungeeigneten Produkttyps oder die Orientierung an falschen Kennzahlen.
Aus diesem Grund halte ich es für essenziell, einen klaren Plan für jeden Derivatetyp zu entwickeln, der den Anleger gezielt zum passenden Produkt führt. Wer sich unsicher fühlt, sollte den Einstieg zunächst üben, beispielsweise durch das Einrichten von Musterdepots. Besonders wichtig finde ich, dass der Auswahlprozess schriftlich dokumentiert wird. Dies erleichtert es, später mögliche Fehler zu identifizieren und die eigene Strategie zu verbessern.
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