Roggenburg (ots) -
Hier geht es zur Hörgeschichte:
www.youtube.com/watch?v=q34HiP4BUpQ
Nach einem Badeurlaub ging die schwäbische Verkäuferin Gudrun Dürr mit ihren Kindern nach Kenia, um den Ärmsten zu helfen und Waisenkindern eine Perspektive zu bieten - in deren eigenem Land. Geplant waren drei Monate Aufenthalt, um alles in die Wege zu leiten und später von Deutschland aus zu steuern. Doch es kam anders. Vor 25 Jahren mit einer Person gestartet, ist in einer der ärmsten Gegenden an der kenianischen Ostküste das einmalige Hilfsprojekt "Nice View" entstanden. Der Förderverein Projekt Schwarz-Weiß e.V. in Deutschland unterstützt die Nice View Trust Foundation-Projekte mit Kinderdorf, Kindertagesstätte, Kindergarten, Primary- und Junior-Secondary-Schule, Klinik, Farm und einer Schreinerei. Mehr als 70 Kinder haben mittlerweile ein Zuhause in "Nice View" gefunden. Eine von ihnen ist Taraja (Name zum Schutz des Kindes geändert), deren bewegende Geschichte zutiefst berührt. Dass die Achtjährige heute noch lebt, ist ein Wunder.
An einem Tag im November 2023 bekamen wir unerwarteten Besuch. Ein freundlicher Mann, Anfang 50, stand vor unserem Büro und bat, die Sozialarbeiterin von Nice View sprechen zu können. Wir hatten den Mann nie zuvor gesehen und wunderten uns. "Ich möchte ihr eine Geschichte erzählen, die ich vor acht Jahren erlebt habe, sagte er..."
Mein Name ist Omariba Haruun. Ich bin Sozialarbeiter in Diani und arbeite seit 15 Jahren sehr viel mit Kindern. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir jeden Morgen bevor wir in den Außendienst gegangen sind, in unser Büro gingen und eine Besprechung abgehalten haben.
Es war ein kühler und regnerischer Tag im Juli 2015. Ein weiterer Sozialarbeiter und ich saßen in unserem Büro, als ich ein zaghaftes Klopfen an der Tür vernahm. Ein kleines Mädchen kam herein. Durchnässt und aufgeregt. "Kommen Sie bitte mit, wir müssen zur Mülldeponie gehen, die in der Nähe des Büros liegt", sagte es. Die Stimme der Kleinen überschlug sich, als sie mir berichtete, dass sie auf dem Müllplatz ein Wimmern gehört hatte. "Wie eine piepsende Ratte", sagte das Kind, das ahnte, dass es kein Tier war, sondern eher das Geräusch eines sehr kleinen Kindes. Es bat mich mitzukommen und nachzuschauen. Alleine traute es sich nicht,.
Mr. Haruun machte eine Pause. Er blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
Mein Kollege und ich hatten Angst und sagten, dass wenn das so sei, dann müssten wir hingehen und nachsehen. Die Art und Weise, wie das Mädchen sich uns gegenüber äußerte, bedeutete, dass da mehr war, als wir uns vorstellen konnten. Wir verließen unser Büro und gingen zu dem Ort. Dort angekommen, hörten wir alle paar Sekunden einen Schrei, den Schrei eines kleinen Babys. Aber wir konnten nicht lokalisieren, woher diese Stimme kam. Also begannen wir zu suchen.
In den letzten Nächten hatte es viel geregnet. Auf der Müllkippe gab es alle Arten von Insekten, alle Arten von Ameisen und Mücken.
Dann ganz plötzlich ein Schrei: "Ein Baby!" schrie eine Mutter, die mittlerweile mit uns zusammen suchte.
Ich sah ein Baby, eingewickelt in einen Sack und oh mein Gott, das Baby war in einem schrecklichen Zustand. Acht Jahre sind seitdem vergangen, doch ich sehe das Baby noch immer vor mir liegen. Zwischen Plastikverpackungen und Essensresten war das Neugeborene einfach im Müll entsorgt worden. Es gab kein Geräusch von sich. Es bewegte sich nicht. Panik stieg in mir auf. Behutsam hob ich das kleine Wesen auf und erschrak.
In einer Wunde am Kopf sahen wir Maden, alles war übersät von Maden. Die Maden kamen aus dem Mund. Die Maden kamen aus den Ohren. Die Maden kamen aus jeder Öffnung ihres Körpers. Es war eine traurige, eine schreckliche Szene, wie ich sie noch nie gesehen habe.
In meinem Arm spürte ich den flachen Atem des Kindes. Das hat uns alle berührt und alle haben geweint, aber Gott sei Dank hat das Baby geatmet. Es hat wirklich geatmet, ab und zu ein bisschen, aber diese Atmung war nicht normal. Wir dachten, es muss vielleicht schon zwei oder drei Tage hier gelegen haben. Das Baby hatte die Augen nicht geöffnet. Immer wenn man versuchte, die Augen des Kindes zu öffnen, kamen Maden und Safari-Ameisen heraus. Die Safari-Ameisen hatten weite Teile ihres Körpers angefressen.
Wir riefen die Polizei und brachten das Baby umgehend in eine nahe gelegene Arztpraxis. Nachdem das Baby notdürftig versorgt war, haben wir uns darum gekümmert, dass ein Krankenwagen das Kind in das Kreiskrankenhaus nach Msambweni brachte. Dort angekommen, wurden wir in der Ambulanz freundlich von den Krankenschwestern empfangen. Und dann ging alles ganz schnell. Innerhalb von einer Minute brachten sie das Baby auf die Intensivstation. Wir waren so dankbar, dass sofort eine Kinderärztin zur Stelle war. Eine junge Engländerin, die sich für ein paar Monate freiwillig engagierte. Sie befreite das Baby von den unzähligen Maden und machte das Ausmaß der Verletzungen sichtbar. Eine große klaffende Wunde am Kopf war zu sehen, eine an der Wange. Würgemale am Hals. Offensichtlich hatte jemand versucht, das Baby zu töten, bevor es ausgesetzt wurde. Zwei bis drei Tage muss das etwa fünf Tage alte Mädchen, das gerade mal 1900 Gramm wog, auf der Müllkippe gelegen haben, sagte sie. Ein Wunder, dass es noch lebte.
Die Situation wurde umso emotionaler, weil alle um uns herum weinten. Sie wollten alle sehen, wer ist das? Was ist passiert? Wer sind die Eltern dieses Babys? Wo sind die Eltern dieses Babys?
Zehn Tage und Nächte lang kämpfte die junge Ärztin um das Überleben des Kindes, das ihren Namen tragen sollte.
Das Msambweni County Referral Hospital liegt in der Nähe des Nice View Kinderdorfes. Da das Baby noch sehr klein war, suchten wir mit Hilfe des Jugendamtes und der Polizei die Unterstützung von Madame Gudrun auf, die sich um die Kinder im Nice View kümmert. Wir kennen das Nice View schon sehr lange und wissen, wie fürsorglich und engagiert sich dort um Kinder gekümmert wird, die zu mehr bestimmt sind. Insbesondere um Kinder mit einem derartigen Schicksal.
Als wir Madame Gudrun von diesem Baby erzählten, ist sie sofort mit uns ins Krankenhaus gefahren. Als sie das Baby sah, konnte Madame Gudrun ihre Tränen nicht zurückhalten. Sie hat geweint, alle haben geweint.
Das Gute, was wir von den Ärzten und Krankenschwestern hörten war, dass sie sich jetzt sicher waren, dass das Mädchen überleben wird. Obwohl sie von den Safari-Ameisen und den Maden angefressen wurde, waren keine lebenswichtigen Organe beschädigt worden. Wir waren sicher, dass sie wieder gesund wird.
Mit der Hilfe von Madame Gudrun haben wir das Mädchen dann in das Kinderheim von Nice View gebracht. Dort bekam es die Pflege, die es verdiente.
Für mich war das das Ende einer sehr bewegenden Geschichte. Von da an habe ich gesagt, dass die Leute wissen sollen, ein Kinderheim ist kein Ort, in den man einfach so einziehen kann. Da gibt es bestimmte Vorschriften.
Ich habe alle Informationen, die Fotos und alles, was ich von der Zeit, als wir das Kind von der Müllkippe ins Krankenhaus brachten, die ganzen Jahre aufbewahrt. Wie die Ärzte sie behandelten, wie sie aufgenommen wurde. In den Tagen, in denen ich sie im Krankenhaus besuchte, habe ich viele Fotos gemacht. Alles habe ich aufbewahrt.
Dass Tarajas Wunden zweimal am Tag versorgt wurden und schnell verheilten, bekam Mr. Haruun nicht mehr mit. Auch nicht, dass sie sich zu einem properen Baby entwickelte, das immer sitzen wollte, schon früh laufen konnte und ständig "Dudu" (Insekt) vor sich hin brabbelte. Doch Mr. Haruun konnte das kleine Baby, das da mitten auf der Müllkippe im Regen lag, nicht vergessen.
Als die Tage vergingen, gingen die Leute, die an der Rettung beteiligt waren, weg und vergaßen das Ereignis. Aber ich vergaß es nicht, weil diese Sache mein tägliches Gebet wirklich begleitete. Ich fragte mich immer wieder: Wie geht es dem Baby? Wie wächst es auf? Ist es noch im Nice View?
Eines Tages im November 2023, als ich einige Jungen, die wir von der Straße gerettet haben, zur Schule brachte, fuhr ich nach Msambweni und wollte versuchen herauszufinden, wie es dem Baby geht. Ich nahm also meinen Mut zusammen und ging zum Nice View Kinderheim. Ich bat um Erlaubnis und ging hinein. Madame Gudrun erkannte mich zuerst nicht, aber ich sagte: "Ja, ich kenne Sie!". Die Sozialarbeiterin, die zum damaligen Zeitpunkt da war, war nicht mehr dort.
Zu der Zeit, als das Baby ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatte es einen anderen Namen als jetzt. Da wir damals nicht wussten, woher sie kam, gaben wir ihr den Namen "Angel".
Acht Jahre später saß Mr. Haruun nun in unserem Büro und erzählte uns seine Geschichte. Dann bat er uns, seinen großen Wunsch zu erfüllen. Er wollte sich vergewissern, dass es dem Kind gut geht. Wir berichteten ihm, dass wir Taraja von Beginn an unsere "kleine Kämpferin" genannt hatten. Dass es anfangs schwierig war, sie zum Lachen zu bringen. Und sie schon als Kleinkind gerne mal Ansagen machte. Wie bei einem Abendessen. Da stieg Taraja mit gerade mal vier Jahren auf einen Stuhl und rief: "Achtung, ich bitte um Aufmerksamkeit. Es ist heute zu laut. Man kann ja sein eigenes Wort nicht verstehen. Ich bitte um mehr Respekt." Mr. Haruun lachte. Er war erleichtert.
Heute ist Taraja ein interessiertes Mädchen, das es liebt, Theaterstücke aufzuführen und sich nicht scheut, etwas offen auszusprechen. Sie ist ständig um Harmonie bemüht. Wenn sich ihre Geschwister streiten, greift sie ein und möchte für Gerechtigkeit sorgen.
Mr. Haruun hörte aufmerksam zu und lächelte. Er räusperte sich und bat uns, ob es möglich sei, das Mädchen zu sehen. Tränen traten ihm in die Augen, als er Taraja an der Hand von Mama Gudrun über den Gang auf ihn zukommen sah.
Es war so emotional für mich zu sehen, was aus dem Baby geworden ist. Zu sehen, wie sie gewachsen ist. Zu sehen, was sie für ein junges Mädchen geworden ist.
Mr. Haruun kniete sich zu Boden, nahm vorsichtig ihre Hand und stellte sich vor. Taraja blickte ihn unsicher an. Sie kennt es, Besucher zu begrüßen. Aber warum war der Mann so glücklich? Und warum weinte er? Die Gedanken waren schnell verflogen. Zwei ihrer Schwestern riefen sie und sie rannte zu ihnen auf den Spielplatz. Mr. Haruun richtete sich auf. Seine Stimme zitterte, als er sich für all die Fürsorge und Liebe bedankte. Taraja so zu sehen, nicht nur für ihn ein Wunder.
Als ich Madame Gudrun und der Sozialarbeiterin erzählte, was damals geschah und was alles passierte bis zu dem heutigen Tag, waren alle sehr bewegt. Ich war sehr glücklich, als Madame Gudrun sagte, dass sie so unendlich dankbar ist, weil wir dieses Kind aus der Gefahr gerettet haben. Sie tun alles dafür, dass Taraja ein ganz normales Kind ist. Sie sehen Dinge, die sie fördern. Das sei das Klügste. Wir haben dieses Kind von der Müllhalde gerettet. Ich sah das wunderschöne Lächeln von diesem Mädchen, dieses kindliche und glückliche Gesicht. Ich sage Ihnen, als ich dieses Mädchen ansah, musste ich eine Weile weinen, so emotional war es.
Was bedeutet das alles? Ich bin ein Sozialarbeiter. Ich bin ein Elternteil. Ich bin ein Vater. Ich weiß, was es braucht, um ein Kind aufzuziehen, sich zu kümmern. Ich weiß, was es braucht, damit ein Kind die Liebe bekommt, die dieses Kind in Nice View bekommt. Ich bin wirklich glücklich darüber, wie das Nice View-Team sich um das Kind kümmert. Ich möchte ihnen aufrichtig danken und ich möchte sagen, dass dieses Kind, so Gott will, aufwachsen wird, um von diesem Wunder zu erfahren. Ich hoffe, dass sie eines Tages reif genug sein wird, diese Geschichte erzählt zu bekommen. Denn als ich dorthin ging und versuchte die Narben und Flecken am Kopf zu sehen, weil ja damals einige Stellen am Kopf offen waren habe ich festgestellt, dass diese Spuren schon verblasst sind, sie sind nicht mehr da, ich kann sie nicht mehr erkennen.
Ich bete also dafür, dass dieses kleine Mädchen heranwächst, damit wir eines schönen Tages zusammensitzen und dieses Geheimnis lüften können, wie wir dieses Baby gerettet haben.
Ich danke Ihnen vielmals.
Gott segne jeden Einzelnen von Ihnen.
Gudrun Dürr gab ihr Leben in Deutschland auf und erhielt 2019 als Auszeichnung für ihren unermüdlichen Einsatz das Bundesverdienstkreuz.
Unterstützt wird das Projekt seit 2022 von Schirmherrin Dr. Auma Obama, kenianische Germanistin, Soziologin, Journalistin, Autorin und Schwester des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama.
Das etwas andere Projekt. Wir helfen Menschen in Kenia eine Zukunft zu schaffen!
Wenn auch Sie helfen wollen, spenden Sie bitte an:
Projekt Schwarz-Weiß e.V.
IBAN: DE13 7305 0000 0430 8346 06
www.kenia-hilfe.com/de/helfen/spenden
Pressekontakt:
Matthias Braun
matthias@kenia-hilfe.com
+49 171 4160157
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Original-Content von: Projekt Schwarz-Weiß e.V., übermittelt durch news aktuell
Originalmeldung: https://www.presseportal.de/pm/177546/5930968
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Nach einem Badeurlaub ging die schwäbische Verkäuferin Gudrun Dürr mit ihren Kindern nach Kenia, um den Ärmsten zu helfen und Waisenkindern eine Perspektive zu bieten - in deren eigenem Land. Geplant waren drei Monate Aufenthalt, um alles in die Wege zu leiten und später von Deutschland aus zu steuern. Doch es kam anders. Vor 25 Jahren mit einer Person gestartet, ist in einer der ärmsten Gegenden an der kenianischen Ostküste das einmalige Hilfsprojekt "Nice View" entstanden. Der Förderverein Projekt Schwarz-Weiß e.V. in Deutschland unterstützt die Nice View Trust Foundation-Projekte mit Kinderdorf, Kindertagesstätte, Kindergarten, Primary- und Junior-Secondary-Schule, Klinik, Farm und einer Schreinerei. Mehr als 70 Kinder haben mittlerweile ein Zuhause in "Nice View" gefunden. Eine von ihnen ist Taraja (Name zum Schutz des Kindes geändert), deren bewegende Geschichte zutiefst berührt. Dass die Achtjährige heute noch lebt, ist ein Wunder.
An einem Tag im November 2023 bekamen wir unerwarteten Besuch. Ein freundlicher Mann, Anfang 50, stand vor unserem Büro und bat, die Sozialarbeiterin von Nice View sprechen zu können. Wir hatten den Mann nie zuvor gesehen und wunderten uns. "Ich möchte ihr eine Geschichte erzählen, die ich vor acht Jahren erlebt habe, sagte er..."
Mein Name ist Omariba Haruun. Ich bin Sozialarbeiter in Diani und arbeite seit 15 Jahren sehr viel mit Kindern. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass wir jeden Morgen bevor wir in den Außendienst gegangen sind, in unser Büro gingen und eine Besprechung abgehalten haben.
Es war ein kühler und regnerischer Tag im Juli 2015. Ein weiterer Sozialarbeiter und ich saßen in unserem Büro, als ich ein zaghaftes Klopfen an der Tür vernahm. Ein kleines Mädchen kam herein. Durchnässt und aufgeregt. "Kommen Sie bitte mit, wir müssen zur Mülldeponie gehen, die in der Nähe des Büros liegt", sagte es. Die Stimme der Kleinen überschlug sich, als sie mir berichtete, dass sie auf dem Müllplatz ein Wimmern gehört hatte. "Wie eine piepsende Ratte", sagte das Kind, das ahnte, dass es kein Tier war, sondern eher das Geräusch eines sehr kleinen Kindes. Es bat mich mitzukommen und nachzuschauen. Alleine traute es sich nicht,.
Mr. Haruun machte eine Pause. Er blickte zu Boden und schüttelte den Kopf.
Mein Kollege und ich hatten Angst und sagten, dass wenn das so sei, dann müssten wir hingehen und nachsehen. Die Art und Weise, wie das Mädchen sich uns gegenüber äußerte, bedeutete, dass da mehr war, als wir uns vorstellen konnten. Wir verließen unser Büro und gingen zu dem Ort. Dort angekommen, hörten wir alle paar Sekunden einen Schrei, den Schrei eines kleinen Babys. Aber wir konnten nicht lokalisieren, woher diese Stimme kam. Also begannen wir zu suchen.
In den letzten Nächten hatte es viel geregnet. Auf der Müllkippe gab es alle Arten von Insekten, alle Arten von Ameisen und Mücken.
Dann ganz plötzlich ein Schrei: "Ein Baby!" schrie eine Mutter, die mittlerweile mit uns zusammen suchte.
Ich sah ein Baby, eingewickelt in einen Sack und oh mein Gott, das Baby war in einem schrecklichen Zustand. Acht Jahre sind seitdem vergangen, doch ich sehe das Baby noch immer vor mir liegen. Zwischen Plastikverpackungen und Essensresten war das Neugeborene einfach im Müll entsorgt worden. Es gab kein Geräusch von sich. Es bewegte sich nicht. Panik stieg in mir auf. Behutsam hob ich das kleine Wesen auf und erschrak.
In einer Wunde am Kopf sahen wir Maden, alles war übersät von Maden. Die Maden kamen aus dem Mund. Die Maden kamen aus den Ohren. Die Maden kamen aus jeder Öffnung ihres Körpers. Es war eine traurige, eine schreckliche Szene, wie ich sie noch nie gesehen habe.
In meinem Arm spürte ich den flachen Atem des Kindes. Das hat uns alle berührt und alle haben geweint, aber Gott sei Dank hat das Baby geatmet. Es hat wirklich geatmet, ab und zu ein bisschen, aber diese Atmung war nicht normal. Wir dachten, es muss vielleicht schon zwei oder drei Tage hier gelegen haben. Das Baby hatte die Augen nicht geöffnet. Immer wenn man versuchte, die Augen des Kindes zu öffnen, kamen Maden und Safari-Ameisen heraus. Die Safari-Ameisen hatten weite Teile ihres Körpers angefressen.
Wir riefen die Polizei und brachten das Baby umgehend in eine nahe gelegene Arztpraxis. Nachdem das Baby notdürftig versorgt war, haben wir uns darum gekümmert, dass ein Krankenwagen das Kind in das Kreiskrankenhaus nach Msambweni brachte. Dort angekommen, wurden wir in der Ambulanz freundlich von den Krankenschwestern empfangen. Und dann ging alles ganz schnell. Innerhalb von einer Minute brachten sie das Baby auf die Intensivstation. Wir waren so dankbar, dass sofort eine Kinderärztin zur Stelle war. Eine junge Engländerin, die sich für ein paar Monate freiwillig engagierte. Sie befreite das Baby von den unzähligen Maden und machte das Ausmaß der Verletzungen sichtbar. Eine große klaffende Wunde am Kopf war zu sehen, eine an der Wange. Würgemale am Hals. Offensichtlich hatte jemand versucht, das Baby zu töten, bevor es ausgesetzt wurde. Zwei bis drei Tage muss das etwa fünf Tage alte Mädchen, das gerade mal 1900 Gramm wog, auf der Müllkippe gelegen haben, sagte sie. Ein Wunder, dass es noch lebte.
Die Situation wurde umso emotionaler, weil alle um uns herum weinten. Sie wollten alle sehen, wer ist das? Was ist passiert? Wer sind die Eltern dieses Babys? Wo sind die Eltern dieses Babys?
Zehn Tage und Nächte lang kämpfte die junge Ärztin um das Überleben des Kindes, das ihren Namen tragen sollte.
Das Msambweni County Referral Hospital liegt in der Nähe des Nice View Kinderdorfes. Da das Baby noch sehr klein war, suchten wir mit Hilfe des Jugendamtes und der Polizei die Unterstützung von Madame Gudrun auf, die sich um die Kinder im Nice View kümmert. Wir kennen das Nice View schon sehr lange und wissen, wie fürsorglich und engagiert sich dort um Kinder gekümmert wird, die zu mehr bestimmt sind. Insbesondere um Kinder mit einem derartigen Schicksal.
Als wir Madame Gudrun von diesem Baby erzählten, ist sie sofort mit uns ins Krankenhaus gefahren. Als sie das Baby sah, konnte Madame Gudrun ihre Tränen nicht zurückhalten. Sie hat geweint, alle haben geweint.
Das Gute, was wir von den Ärzten und Krankenschwestern hörten war, dass sie sich jetzt sicher waren, dass das Mädchen überleben wird. Obwohl sie von den Safari-Ameisen und den Maden angefressen wurde, waren keine lebenswichtigen Organe beschädigt worden. Wir waren sicher, dass sie wieder gesund wird.
Mit der Hilfe von Madame Gudrun haben wir das Mädchen dann in das Kinderheim von Nice View gebracht. Dort bekam es die Pflege, die es verdiente.
Für mich war das das Ende einer sehr bewegenden Geschichte. Von da an habe ich gesagt, dass die Leute wissen sollen, ein Kinderheim ist kein Ort, in den man einfach so einziehen kann. Da gibt es bestimmte Vorschriften.
Ich habe alle Informationen, die Fotos und alles, was ich von der Zeit, als wir das Kind von der Müllkippe ins Krankenhaus brachten, die ganzen Jahre aufbewahrt. Wie die Ärzte sie behandelten, wie sie aufgenommen wurde. In den Tagen, in denen ich sie im Krankenhaus besuchte, habe ich viele Fotos gemacht. Alles habe ich aufbewahrt.
Dass Tarajas Wunden zweimal am Tag versorgt wurden und schnell verheilten, bekam Mr. Haruun nicht mehr mit. Auch nicht, dass sie sich zu einem properen Baby entwickelte, das immer sitzen wollte, schon früh laufen konnte und ständig "Dudu" (Insekt) vor sich hin brabbelte. Doch Mr. Haruun konnte das kleine Baby, das da mitten auf der Müllkippe im Regen lag, nicht vergessen.
Als die Tage vergingen, gingen die Leute, die an der Rettung beteiligt waren, weg und vergaßen das Ereignis. Aber ich vergaß es nicht, weil diese Sache mein tägliches Gebet wirklich begleitete. Ich fragte mich immer wieder: Wie geht es dem Baby? Wie wächst es auf? Ist es noch im Nice View?
Eines Tages im November 2023, als ich einige Jungen, die wir von der Straße gerettet haben, zur Schule brachte, fuhr ich nach Msambweni und wollte versuchen herauszufinden, wie es dem Baby geht. Ich nahm also meinen Mut zusammen und ging zum Nice View Kinderheim. Ich bat um Erlaubnis und ging hinein. Madame Gudrun erkannte mich zuerst nicht, aber ich sagte: "Ja, ich kenne Sie!". Die Sozialarbeiterin, die zum damaligen Zeitpunkt da war, war nicht mehr dort.
Zu der Zeit, als das Baby ins Krankenhaus eingeliefert wurde, hatte es einen anderen Namen als jetzt. Da wir damals nicht wussten, woher sie kam, gaben wir ihr den Namen "Angel".
Acht Jahre später saß Mr. Haruun nun in unserem Büro und erzählte uns seine Geschichte. Dann bat er uns, seinen großen Wunsch zu erfüllen. Er wollte sich vergewissern, dass es dem Kind gut geht. Wir berichteten ihm, dass wir Taraja von Beginn an unsere "kleine Kämpferin" genannt hatten. Dass es anfangs schwierig war, sie zum Lachen zu bringen. Und sie schon als Kleinkind gerne mal Ansagen machte. Wie bei einem Abendessen. Da stieg Taraja mit gerade mal vier Jahren auf einen Stuhl und rief: "Achtung, ich bitte um Aufmerksamkeit. Es ist heute zu laut. Man kann ja sein eigenes Wort nicht verstehen. Ich bitte um mehr Respekt." Mr. Haruun lachte. Er war erleichtert.
Heute ist Taraja ein interessiertes Mädchen, das es liebt, Theaterstücke aufzuführen und sich nicht scheut, etwas offen auszusprechen. Sie ist ständig um Harmonie bemüht. Wenn sich ihre Geschwister streiten, greift sie ein und möchte für Gerechtigkeit sorgen.
Mr. Haruun hörte aufmerksam zu und lächelte. Er räusperte sich und bat uns, ob es möglich sei, das Mädchen zu sehen. Tränen traten ihm in die Augen, als er Taraja an der Hand von Mama Gudrun über den Gang auf ihn zukommen sah.
Es war so emotional für mich zu sehen, was aus dem Baby geworden ist. Zu sehen, wie sie gewachsen ist. Zu sehen, was sie für ein junges Mädchen geworden ist.
Mr. Haruun kniete sich zu Boden, nahm vorsichtig ihre Hand und stellte sich vor. Taraja blickte ihn unsicher an. Sie kennt es, Besucher zu begrüßen. Aber warum war der Mann so glücklich? Und warum weinte er? Die Gedanken waren schnell verflogen. Zwei ihrer Schwestern riefen sie und sie rannte zu ihnen auf den Spielplatz. Mr. Haruun richtete sich auf. Seine Stimme zitterte, als er sich für all die Fürsorge und Liebe bedankte. Taraja so zu sehen, nicht nur für ihn ein Wunder.
Als ich Madame Gudrun und der Sozialarbeiterin erzählte, was damals geschah und was alles passierte bis zu dem heutigen Tag, waren alle sehr bewegt. Ich war sehr glücklich, als Madame Gudrun sagte, dass sie so unendlich dankbar ist, weil wir dieses Kind aus der Gefahr gerettet haben. Sie tun alles dafür, dass Taraja ein ganz normales Kind ist. Sie sehen Dinge, die sie fördern. Das sei das Klügste. Wir haben dieses Kind von der Müllhalde gerettet. Ich sah das wunderschöne Lächeln von diesem Mädchen, dieses kindliche und glückliche Gesicht. Ich sage Ihnen, als ich dieses Mädchen ansah, musste ich eine Weile weinen, so emotional war es.
Was bedeutet das alles? Ich bin ein Sozialarbeiter. Ich bin ein Elternteil. Ich bin ein Vater. Ich weiß, was es braucht, um ein Kind aufzuziehen, sich zu kümmern. Ich weiß, was es braucht, damit ein Kind die Liebe bekommt, die dieses Kind in Nice View bekommt. Ich bin wirklich glücklich darüber, wie das Nice View-Team sich um das Kind kümmert. Ich möchte ihnen aufrichtig danken und ich möchte sagen, dass dieses Kind, so Gott will, aufwachsen wird, um von diesem Wunder zu erfahren. Ich hoffe, dass sie eines Tages reif genug sein wird, diese Geschichte erzählt zu bekommen. Denn als ich dorthin ging und versuchte die Narben und Flecken am Kopf zu sehen, weil ja damals einige Stellen am Kopf offen waren habe ich festgestellt, dass diese Spuren schon verblasst sind, sie sind nicht mehr da, ich kann sie nicht mehr erkennen.
Ich bete also dafür, dass dieses kleine Mädchen heranwächst, damit wir eines schönen Tages zusammensitzen und dieses Geheimnis lüften können, wie wir dieses Baby gerettet haben.
Ich danke Ihnen vielmals.
Gott segne jeden Einzelnen von Ihnen.
Gudrun Dürr gab ihr Leben in Deutschland auf und erhielt 2019 als Auszeichnung für ihren unermüdlichen Einsatz das Bundesverdienstkreuz.
Unterstützt wird das Projekt seit 2022 von Schirmherrin Dr. Auma Obama, kenianische Germanistin, Soziologin, Journalistin, Autorin und Schwester des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama.
Das etwas andere Projekt. Wir helfen Menschen in Kenia eine Zukunft zu schaffen!
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