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DJ Europa will für Ukraine eine "Koalition der Willigen" schmieden
Von Max Colchester, Laurence Norman und Ian Lovett
DOW JONES--Großbritannien und Frankreich arbeiten federführend an einem Friedensplan für die Ukraine. Der Plan soll US-Präsident Donald Trump vorgelegt werden und helfen, die Differenzen zu überbrücken, die sich beim Zusammenstoß zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus am Freitag aufgetan hatten. Der britische Premierminister Keir Starmer empfing am Sonntag fast 20 Verbündete in London und erklärte, es seien Fortschritte bei der Bildung einer "Koalition der Willigen" erzielt worden. Diese soll unter anderem die militärische Mittel zur Sicherung eines möglichen Waffenstillstands und eventuellen späteren Friedens in dem osteuropäischen Land bereitstellen, darunter auch Bodentruppen.
Starmer sagte, es müssten weitere Länder an Bord kommen, damit Europa eine Streitmacht aufbauen könne, die eine fortgesetzte russische Aggression in der Ukraine verhindern könne. "In meinen Gesprächen der letzten Tage haben wir uns darauf geeinigt, dass Großbritannien, Frankreich und andere mit der Ukraine an einem Plan zur Beendigung der Kämpfe arbeiten werden, und dass wir diesen Plan dann mit den Vereinigten Staaten besprechen werden", sagte Starmer. Er habe mit Präsident Trump bereits über diese Absicht gesprochen.
Die EU arbeitet auch an Plänen zur Stärkung der europäischen Verteidigungsindustrie. Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, sagte, sie werde den Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag auf einem Gipfel entsprechende Pläne vorlegen.
In Deutschland verhandeln die Parteien, die auf dem Weg sind, die nächste Regierung zu bilden, über die Einrichtung von zwei Fonds im Wert von Hunderten von Milliarden Euro, um zukünftige Militär- und Infrastrukturausgaben zu finanzieren, sagten deutsche Regierungsvertreter. Sie wiesen jedoch darauf hin, dass eine Entscheidung noch nicht getroffen worden sei. Die Fonds wären nicht Teil des Bundeshaushalts und unterlägen daher nicht den strengen deutschen Haushaltsregeln und der Schuldenbremse. Der Umfang des Fonds ist noch völlig offen, aber ein Insider sagte, er werde das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro aus dem Jahr 2022 bei weitem übersteigen.
Das Treffen zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj am Freitag im Weißen Haus, bei dem der US-Präsident den ukrainischen Staatschef während vor laufender Kamera beschimpfte, löste eine hektische Diplomatie unter den europäischen Verbündeten aus. Sie zielt darauf ab, einerseits weitere Unterstützung für die Ukraine zu zeigen und zugleich einen Weg zu finden, der sicherstellt, dass die USA Kiew nicht den Rücken kehren.
Nach dem Treffen im Weißen Haus hatte Trump auf seiner Plattform Truth Social erklärt, er habe festgestellt, dass Selenskyj zu einem Frieden nicht bereit sei, solange die USA involviert seien, weil dies die Anreize zu Zugeständnissen verringere. Europäische Regierungsvertreter zielen mit ihrer Initiative nun darauf ab, eine gemeinsame Position für Bedingungen zur Beendigung des Krieges für Washington, Europa und die Ukraine zu erreichen, um auf dieser Grundlage Verhandlungen mit dem Kreml zu erreichen. Schlüssel dazu soll sein, dass die Ukraine weiterhin westliche Militärhilfe erhält und europäische Truppen als Teil einer Sicherheitsgarantie vor Ort stationiert werden können.
Starmer, der das Treffen am Sonntag leitete, versuchte, die Spannungen zwischen Europa und Washington herunterzuspielen. Er wies die Interpretation zurück, dass mit Trumps Kritik an Selenskyj die Stärke des transatlantischen Bündnisses zweifelhaft geworden sei. "Ich akzeptiere nicht, dass die Vereinigten Staaten ein unzuverlässiger Verbündeter sind", sagte er. Die Gruppe der westlichen Verbündeten diskutierte auch darüber, mehr Verantwortung für die Finanzierung der europäischen Verteidigung zu übernehmen, wenn die USA sich anderen Herausforderungen zuwenden.
Nato-Generalsekretär Mark Rutte sagte, dass mehrere Nationen auf dem Treffen zugesagt hätten, mehr für die Verteidigung auszugeben, ohne Einzelheiten zu nennen. Selenskyj war in London von einer jubelnden Menschenmenge begrüßt worden, als er zu seinem Treffen mit Starmer eintraf. Ihm wurde auch eine Privataudienz bei König Charles III. gewährt. Der ukrainische Präsident zeigte sich den USA gegenüber versöhnlicher und erklärte am Sonntag, er sei weiter bereit, ein Abkommen zu unterzeichnen, das den USA Zugang zu wichtigen Mineralien in der Ukraine verschaffen würde. Dieses Abkommen sollte eigentlich am Freitag im Weißen Haus abgeschlossen werden.
Auf die Auseinandersetzung im Weißen Haus angesprochen, sagte Starmer: "Niemand wollte das sehen, was letzten Freitag passiert ist". An dem Treffen am Sonntag nahmen unter anderem Deutschland, Italien, Frankreich, Kanada und die Türkei teil. Eine Meinungsverschiedenheit im Oval Office bestand in der Forderung der Ukraine, dass jedes Friedensabkommen mit starken Sicherheitsgarantien ihrer westlichen Verbündeten einhergehen müsse, damit Russland davon abgeschreckt wird, in Zukunft erneut in die Ukraine einzudringen.
Selenskyjs Schilderung, wie der russische Präsident Wladimir Putin frühere Waffenstillstandsvereinbarungen gebrochen hatte, löste scharfe Reaktionen von Vizepräsident JD Vance und Präsident Trump aus. Während sich die europäischen Verbündeten um greifbare Garantien bemühen, hat Trump bisher eine militärische Beteiligung der USA an der Friedenssicherung abgelehnt. Frankreich und Großbritannien erörtern seit Wochen Pläne, im Falle eines stabilen Waffenstillstands oder eines Friedensabkommens eine militärische Truppe in der Ukraine einzusetzen.
Diplomaten, die mit den Gesprächen vertraut sind, sagen, es gebe einen wachsenden Konsens über die Art der Mittel und die Zahl der Truppen, die dafür eingesetzt werden müssten. Es muss jedoch noch geklärt werden, wo diese Truppe stationiert werden soll und welches Mandat sie erhalten soll. Starmer hat öffentlich erklärt, dass die Entsendung von Truppen in die Ukraine im Rahmen eines Friedensabkommens nur dann möglich ist, wenn die USA eine Art "Rückendeckung" für einen europäischen Einsatz bieten.
Diplomaten erklärten, dass sie sich Klarheit darüber verschaffen wollen, wie die USA reagieren würden, wenn die europäischen Streitkräfte von Russland angegriffen würden. Zusätzlich zu den Streitkräften vor Ort ist es nach Ansicht europäischer Beamter von entscheidender Bedeutung, dass die Ukraine nach einem Friedensabkommen für die kommenden Jahre mit einer Reihe von Militärgütern versorgt wird. "Wir müssen die Ukraine in ein stählernes Stachelschwein verwandeln, das für potenzielle Angreifer unverdaulich ist", sagte von der Leyen nach dem Treffen in London.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte der Zeitung Le Figaro am Sonntag, Großbritannien und Frankreich seien der Meinung, dass ein guter Ausgangspunkt für einen Waffenstillstand eine einmonatige Vereinbarung zwischen Russland und der Ukraine sei, die Luft- und Seeangriffe sowie Angriffe auf die Energieinfrastruktur einzustellen. In den kommenden Wochen wird sich zeigen, ob Europa seine Rhetorik untermauern und die Unterstützung für die Ukraine verstärken kann, wenn Washington sich zurückzieht.
Laut Selenskyj haben die USA seit Beginn des Krieges fast 70 Milliarden Dollar an Militärhilfe bereitgestellt, was die Beiträge aller anderen Verbündeten Kiews in den Schatten stellt. Aber auch die europäischen Staaten haben ihre Unterstützung während des Krieges stetig erhöht. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben mehr als 50 Milliarden Dollar an Militärhilfe bereitgestellt. Das Vereinigte Königreich stellt jährlich 3,8 Milliarden Dollar zur Verfügung. Die Ukraine selbst hat ihre eigene Rüstungsindustrie stark ausgebaut und produziert nach Angaben ukrainischer Regierungsvertreter Waffen im Wert von 30 Milliarden Dollar pro Jahr.
Im vergangenen Jahr produzierte das Land 1,5 Millionen Drohnen, die an der Front eine immer wichtigere Rolle spielten und es der Ukraine ermöglichten, die russischen Streitkräfte mit minimalen Verlusten abzuwehren. Einige fortschrittliche US-Waffen, wie Luftabwehrsysteme und Boden-Boden-Raketen, könnten von der Ukraine jedoch kurzfristig nicht ersetzt werden, sollte Washington seinen Nachschub einstellen. Europa stellt nicht genug davon her. Eine Reihe europäischer Länder hat in letzter Zeit konkrete militärische Hilfszusagen für die Ukraine gemacht, darunter Schweden, Dänemark, Polen und Spanien. Großbritannien und Frankreich haben bereits zusätzliche Hilfe in Milliardenhöhe für das Jahr 2025 in Aussicht gestellt.
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