
FRANKFURT (dpa-AFX) - Der vorläufig entschärfte amerikanisch-europäische Zollstreit hat dem Dax am Donnerstag eine Erholungsrally beschert. Die anfänglichen Gewinne schmolzen allerdings ab. Nach einem mehr als achtprozentigen Kursprung auf 21.300 Punkte erwies sich die für den mittelfristigen Trend bedeutsame 100-Tage-Durchschnittslinie als zu hohe Hürde.
Am frühen Nachmittag behauptete der deutsche Leitindex ein Plus von 5,36 Prozent auf 20.725,82 Punkte. Immerhin ließ er aber die langfristig wichtige 200-Tage-Linie wieder klar hinter sich.
"Die Situation ist nicht chaotisch, sie ist verrückt", kommentierte Carsten Brzeski, Chefvolkswirt für Deutschland und Österreich bei der niederländischen Bank ING, mit Blick auf US-Präsident Donald Trump und die Finanzmärkte. Trump setzte am Mittwochabend die jüngst verhängten, länderspezifischen Sonderzölle für 90 Tage aus. Während dieses Zeitraumes greift nun ein pauschaler Zollsatz von 10 Prozent. Dagegen verschärfte Trump den Konfrontationskurs mit China, indem er die Zölle für chinesische Einfuhren weiter anhob.
Um die Mittagszeit erklärte die EU-Kommission, die ab kommender Woche geplanten Gegenzölle für US-Importe vorerst nicht in Kraft zu setzen. Auf die Aktienkurse hatte das allerdings keinen Einfluss. Gleiches galt für US-Preisdaten, die eine schwächer als erwartete Entwicklung der Inflation belegten.
Für den MDax der mittelgroßen Unternehmen ging es zuletzt um 4,55 Prozent auf 25.996,84 Punkte hoch. Der Eurozonen-Leitindex EuroStoxx 50 machte mit einem Plus von 5,6 Prozent ebenfalls ordentlich Boden gut.
Auch an den asiatischen Handelsplätzen hatten die Kurse kräftig angezogen. Selbst die wichtigsten Indizes der chinesischen Börsen sowie der Hang-Seng-Index der Sonderverwaltungszone Hongkong legten zu. An diesem Donnerstag traten auch die chinesischen Gegenzölle für US-Waren in Kraft. In New York zeichnen sich nach der Kursexplosion vom Vortag allerdings wieder Verluste ab.
Laut dem charttechnisch orientierten Wertpapieranalysten Marcel Mußler "ist nach gestern erst einmal Aufatmen angesagt". Ähnlich wie andere Experten sieht er aber keinen Grund zur Euphorie. Denn schließlich sei der Zollkrieg nicht beendet, sondern nur für Verhandlungen ausgesetzt worden. "Dabei wird Trump aber weiterhin nicht den Samariter geben", so Mußlers Prognose. "Er wird vielmehr weiter mit markigen Sprüchen die Stimmung anheizen. Und das Vertrauen in Trump bleibt zerstört." Dazu bedeute der anhaltende Handelskrieg mit China schwer zu kalkulierende Risiken.
Am deutschen Aktienmarkt griffen die Anleger vor allem bei zuletzt gebeutelten Papieren zu. Aus dem Halbleitersektor sprangen Infineon an der Dax-Spitze um 11,3 Prozent hoch. Im MDax belegten Wacker Chemie mit plus 9,9 Prozent und im Nebenwerte-Index SDax Süss Microtec und Elmos vordere Plätze. Gefragt waren auch Finanzaktien wie Deutsche Bank und deren Fondstochter DWS sowie Industrietitel wie Siemens und Siemens Energy .
Am SDax-Ende lagen die moderat schwächeren Aktien von ProSiebenSat.1, nachdem die US-Bank JPMorgan sie abgestuft hatte und nur noch ein neutrales Anlagevotum ausspricht. Analyst Daniel Kerven begründete dies mit dem Risiko, dass Media for Europe (MFE) seine Übernahmeofferte zurückziehen könnte. Die Aktien des Medienkonzerns und ProSieben-Großaktionärs hätten enorm unter der Aussicht gelitten, im wirtschaftlich unsicheren Terrain auch noch die Schulden der Schulden seines Branchenkollegen stemmen zu müssen. Dieses Risiko könnte MFE zunächst zu hoch sein. Die Italiener könnten wieder auf den Plan treten, wenn der volumengewichtete Durchschnittskurs (VWAP) der ProSieben-Aktien deutlich gesunken sei. Hieran orientiert sich die Offerte.
Volkswagen -Aktien verteuerten sich nach vorläufigen Quartalszahlen um unterdurchschnittliche 2,9 Prozent. Der Autobauer verfehlte die Erwartungen, hält aber an seinen Jahreszielen fest. Die Papiere haben eine dreiwöchige Talfahrt hinter sich. Für die zuletzt ähnlich gebeutelten Titel der Wettbewerber BMW und Mercedes-Benz ging es am Donnerstag um 3,5 beziehungsweise 3,6 Prozent hoch. BMW berichtete derweil für das erste Quartal einen Absatzrückgang - vor allem wegen des eingebrochenen China-Geschäfts./gl/mis
--- Von Gerold Löhle, dpa-AFX ---
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